Das Verfahren mit den Bratwürsten und den Gutscheinen hat nicht geklappt: Geschenke und Privilegien haben die Impfquote nicht – zumindest nicht im ersehnten Ausmaß – bedeutend verbessert. Nun ist guter Rat teuer. Man würde den Ungeimpften gerne auf die Pelle rücken, am liebsten mit der Nadel. Doch allein die freiheitlichen Grundrechte! Selbst wenn die Sehnsucht groß ist, sie hie und da über den Haufen zu schmeißen: Es geht nicht. Und wenn es nur aus Angst vor dem Wähler ist. Es geht nicht. Vielleicht ist da auch die Ahnung, dass eine (nein, natürlich hunderttausende) erzwungene Impfung am Ende ernsthafte Folgen haben könnte. Nicht für das Virus, sondern für die Gesellschaft. Die Menschen, denen die Impfung abgerungen wurde, werden schwer noch ins Staatsverständnis positiv zu integrieren sein.
Wie auch immer man das Problem betrachtet: Es geht nicht weiter. Nicht mit Zwang und nicht ohne. Darum kommt jetzt medial die Seelenanalyse der Ungeimpften an die Reihe. Wobei mir scheint – gesamtgesellschaftlich gesehen ist das Wort vom „Impfverweigerer“ auf dem Rückzug. Gesellschaftliche Übereinkunft scheint zu sein, vorrangig von Ungeimpften zu sprechen. Dann gibt's jetzt noch die Impfskeptiker und die Impfgegner. Das Wort von der Impfverweigerung bleibt nur noch übrig für die ganz, ganz harten Fälle. Das war vor Wochen noch anders.
Erstaunlich, oder? Jetzt, wo es um jede einzelne Impfung zu gehen scheint, selbst wenn Wissenschaftler davon reden, dass derzeit mit dem Impfen keine Wellen mehr zu brechen sind, jetzt besinnt sich die Medienwelt darauf, dass mit einem Affront auch nichts gewonnen ist. Der nette Nachbar ist eben doch eher ungeimpft als Verweigerer.
Und wenn’s gar nicht mehr anders geht, dann wollen wir also jetzt auch diesen netten Ungeimpften von nebenan endlich verstehen lernen. Vom Grunde seiner Seele her und aus der Perspektive seines Verständnisses. Hier die Diskussion, so wie sie sich über Google medial zurückverfolgen lässt. Sicher fehlen hier und da Diskutanten und Texte, aber mit dieser chronologischen Sammlung hat man dennoch gewiss einen guten Überblick über den Stand der Diskussion.
Losgetreten hat die Diskussion wahrscheinlich der „Spiegel“. Allerdings weniger in dem Bemühen um Verständnis als in dem Bemühen um Erklärung. Zurückhaltend formuliert. Genaugenommen aber geht es im Spiegel um eine Abrechnung: Der Autor rechnet, uns seine tatsächlich erschreckenden Kindheitserinnerungen beschreibend, mit den Antroposophen ab. Ergebnis: Die Antroposophen sind schuld, sie haben die Anti-Impf-Haltung der Deutschen in langen Jahrzehnten deutlich vorbereitet. Den Spiegel-Artikel vom 15.11.2021 finden Sie hier:
https://www.spiegel.de/kultur/waldorfschule-und-impfgegner-in-steiners-sekte-a-8242889d-190f-479f-bf6d-a22ccab54013