Es ist schon eine ganze Weile her. Wir, zwei junge Journalistinnen in Ausbildung und nach irgendwo aufwärts strebend, saßen erschöpft beim Kaffee und referierten uns gegenseitig unsere Symptome. Wir wussten, dass es der Stress ist, der uns dann und wann zittern oder frieren ließ. Überarbeitung, Anspannung. Aber das Internet war neu, tief und abgründig – und wir haben, nur zum Spaß, unsere Symptome gegoogelt. Das Ergebnis war ganz eindeutig: Wir hatten Tollwut. Alle beide.
Glücklicherweise hatten wir auch noch einen Rest von Verstand. Und waren amüsiert. Tollwut. Wunderbar. Den Artikel über das Thema Tollwut beim Menschen haben wir uns dann, verständlicherweise, geschenkt.
Nun sind die Hinter-, Ab- und Vordergründe im Internet nicht nur gewachsen. Sie haben an Tiefe und Inhalt gewonnen – und an Perspektive. Die Information über alles und jedes ist für viele nicht nur Lebensinhalt, sondern zugleich Lebensunterhalt.
Und ganz sicher würden heute, wenn ich all die Symptome von damals googeln würde, ganz andere Ergebnisse herauskommen als damals. Der Blickwinkel hat sich nämlich auch verändert. Nicht Tollwut hätte ich. Sondern entweder einen Burnout, eine Phobie oder irgendeine psychische Störung. Die Psyche – vor allem die kranke Psyche – ist der Dreh- und Angelpunkt, über den medial gerne kommuniziert wird. Das liegt an Vielem: An der Zunahme psychischer Erkrankungen, an den Veränderungen in der Gesellschaft – und vor allem aber: Über die Psyche kann jeder mitreden. Über die Tollwut eher nicht.
Und deswegen gibt es jetzt für das Verhalten, das uns zwei jungen Frauen fast an unsere Tollwuterkrankung hätte glauben lassen, einen neuen Namen. Cyberchondrie heißt die Krankheit, die vom Hypochonder abgeleitet ist. Oder Morbus Google. Und ja: Das Ganze ist pathologisch – und auch der „eingebildete Kranke“ war immer schon krank. Wenngleich ganz anders als in seiner Wahrnehmung.