Kündet allen - Corona im Advent
Ja, auch in diesem Jahr läuft alles darauf hinaus, dass wir wieder Weihnachten feiern. Wer nicht Weihnachten feiert, kommt um diese Feiertage trotzdem nicht drumrum. Und vielleicht sind ja schon die freien Tage allein ein Grund, der zum Feiern berechtigt – wobei: Es ist schon unglücklich, dass der vierte Advent und Heiligabend in diesem Jahr auf denselben Tag fallen.
Fallen ist hier das richtige Stichwort zum Sprichwort: Man soll ja die Feste feiern, wie sie fallen. Doch vor die Freude und die Vorfreude hat Corona nun den Argwohn gesetzt. Fällt das Weihnachtsfest oder lassen wir es fallen? Nein, nein. Fällen will das Fest ja niemand. Wirklich niemand. Aber dieser Niemand verkündet das permanent und so laut wie deutlich.
Andersherum: Wir sind ja mitten im Advent. Christlich gesehen, müssten wir, die wir das christliche Abendland ja gerne verbal plakatieren, nun alle von der Ankunft (des Herrn) künden. Gesellschaftlich gesehen, spielt die Frage, ob ER kommt oder nicht, schlicht überhaupt keine Rolle mehr. Die wirkliche Weihnachtsfrage lautete bis vor Corona jährlich: Kommt Schnee oder kommt er nicht? Regelmäßig stimmten die Medien vorweihnachtliche Gesänge an, die man zusammenfassen könnte in der Zeile: Kein Schnee wird fallen.
Nun aber hat Corona uns die wahre Verkündigung zurückgebracht. Die medialen Gesetze des Advents lauten seit wenigen Jahren: Corona wird kommen. Wenn ich mich recht erinnere, hat in diesem Jahr Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diesen Song angestimmt – aber diese Wahrnehmung kann schon eine Folge der medialen Verkündigungsgesetze des Advents sein.
Denn sie, die Medien, haben ja einen Auftrag: Die Nachricht. Wir verstehen heutzutage darunter gern den nachträglichen Bericht über ein Ereignis. Doch wortgeschichtlich und journalistisch begann die Nachricht eigentlich als Anweisung. Es ging darum, sich nach etwas zu richten.
So – und hier vermischt sich jetzt die zu kündende Ankunft mit der ersehnten Anweisung. Denn wer wollte sich nicht gern nach etwas richten, was verkündet ist? Denn dann ist wenigstens eines klar: die Richtung.
Wir gehen also geradewegs Richtung Weihnachten – und die Anzahl der Verkündigungen steigt: „Kündet allen in der Not“: Corona wird kommen.
Vielleicht treffen hier, tiefenpsychologisch auch mehrere Erscheinungen zusammen: Nachrichten haben nur einen Wert, wenn sie von einem Schrecken zeugen – und an Weihnachten ohne Corona glauben, kann nicht, wem das Tor zum Weihnachtsfest einmal verschlossen war. Was einmal war, das kehrt auch wieder.
Nun tragen die Medien, und manche sogar gern und vorbildlich, ja auch Verantwortung. Und hier wird es nun, tiefenpsychologisch betrachtet, eher komisch als kündigend: Die Berichte, die in der Überschrift vor Corona warnen, ordnen im Verlaufe des Textes Corona vorsichtig ein. Dahin wo es künftig hingehören soll: in die Reihe der Atemwegserkrankungen, die uns von Herbst bis Frühjahr heimsuchen können.
Die Papierausgabe des Kölner Stadt-Anzeiger hat für diese neue Ordnung heute, 15.12.2023, viel Platz zur Verfügung. „Corona und Grippe breiten sich in NRW aus“, kündet der zweispaltige Aufmacher auf der Titelseite, der sich fast über die ganze Höhe erstreckt. Darin tatsächlich die Info, dass und wie die Atemwegserkrankungen zunehmen. Von wenig auf deutlich mehr. Und dass wir in diesem Jahr sogar mehr Atemwegserkrankungen haben, als es in den Vergleichszeiträumen vor Corona gab. Es fehlt nicht der Hinweis darauf, dass das ja auch zu erwarten war. Denn mit Corona ist ja eine Atemwegserkrankung dazugekommen. Alles Fakten – alles gewiss richtig. Alles gewiss ausgewogen. „Kündet allen in der Not.“
Und zum Aufmacher gesellt sich dann fast die ganze Seite 3. Und die widmet sich den Anweisungen, nach denen wir uns zu richten haben.
(Beide Texte auch ähnlich online mit dem Datum 14.12.2023:
https://www.ksta.de/politik/nrw-politik/corona-und-co-was-die-infektionswelle-fuer-weihnachten-bedeutet-698636)
Nun hat jede Medaille ja zwei Seiten, und im Advent soll denen in der Not ja eigentlich anderes verkündet werden: „Fasset Mut und habt Vertrauen“, lautet die zweite Zeile des zitierten Adventslieds. Infektiologin Clara Lehmann hat diesen Auftrag vielleicht ein wenig besser verstanden als der Kölner Stadt-Anzeiger. Auf die Frage, ob man sich bei Symptomen auf Corona testen lassen solle, antwortet sie im Interview in der Zeitung schlicht, pragmatisch und lapidar: „Persönlich sehe ich keinen zwingenden Grund dafür, da das Ergebnis keine direkten Konsequenzen hat.“
Das ist doch mal eine echte Verkündigung, oder? Natürlich schränkt auch Lehmann ein: Ältere und immungeschwächte Menschen sollten sich schützen und testen. Aber alles in allem: Corona habe mildere Formen angenommen, sei eine Atemwegserkrankung unter mehreren – und wer wirklich krank ist, sollte natürlich nicht als Ansteckungsherd auf Erden bzw. in der Öffentlichkeit wandeln.
Lehmann gipfelt ihre mutmachenden Nach-richten diplomatisch abwägend in „Auf der einen Seite besteht das infektiöse Risiko, auf der anderen Seite ist es wichtig, das Gleichgewicht zu finden und an Weihnachten die Familie zu sehen.“
Bleibt mir noch eines: Ihnen vom Schnee zu künden. Sie kennen vielleicht das Lied: „Es ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns eine große Freud.“ Wikipedia informiert: Begonnen hat dieses Lied als Sternsingerlied in der Schweiz. Und so gibt es mehrere Fassungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Es_ist_f%C3%BCr_uns_eine_Zeit_angekommen
Zwei Fassungen des Refrains möchte ich hier, wegen der Verkündigung im Advent, nebeneinanderstellen:
Die Sternsinger sangen:
Übers schneebedeckte Feld,
wandern wir, wandern wir,
durch die weite, weiße Welt.
Das Kirchenlied formuliert:
Unser Heiland Jesus Christ,
der für uns, der für uns,
der für uns Mensch geworden ist.
In diesem Sinne: Warten Sie wachsam, wer oder was da auf sie zukommt, halten Sie Öl fürs Lämpchen bereit - und lassen Ihr Licht vorweihnachtlich leuchten!
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