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Durchschnittliche Rechnereien - die ZEIT zur Krankenhausreform

Hanna Grabbe hat sich bemüht, die Absichten der Krankenhausreform in der ZEIT sprachlich so zusammenzufassen, dass schlagkräftige Argumente dabei herauskommen. Infografisch hat ihr Pia Bublies erste Hilfe geleistet. Die Überschrift: „Immerhin Betten gibt es genug“. Der Artikel ist vom 04.07.2023 (Link unten am Textende) – und Sie ahnen es: Er ärgert mich.


Zum Beispiel hier:


Zwei Minuten länger müssten Patienten fahren, wenn Schlaganfälle nur noch in Kliniken behandelt würden, die eine darauf spezialisierte Stroke-Unit haben. Die durchschnittliche Fahrzeit läge dann bei 23 statt 21 Minuten. Derzeit behandeln 1049 Kliniken in Deutschland Schlaganfälle, aber weniger als jede dritte (328) davon verfügt über eine entsprechende Einheit.“


Der erste Satz schon ist vollkommen falsch: „Zwei Minuten länger müssten Patienten fahren …“. Abgesehen davon, dass er den Eindruck erweckt, als würde dann in Zukunft das Krankenhaus, in das der Patient eingeliefert wird, einfach nur in zwei Minuten Entfernung von dem Krankenhaus gebaut werden, in das der Patient vor der Krankenhausreform gekommen wäre. Das aber ist, zugegeben, ein vollkommen alberner Gedanke. Vielleicht auch nur eine Trotzreaktion. Denn nein: Es werden nicht in Zwei-Minuten-Entfernung bisheriger Krankenhäuser künftige Krankenhäuser gebaut werden. Das ist nicht der Plan. Der Plan ist eine Reduzierung – und es wird nicht so sein, dass die Patienten zwei Minuten länger brauchen, um ins Krankenhaus zu kommen. Gemeint ist ja der Durchschnitt. Das wird ja im nächsten Satz dann auch klar. Aber genauso klar ist: Der Durchschnitt ist immer nur ein Rechenergebnis. Beispiel: Wenn 200 Patienten mit Schlaganfall binnen 5 Minuten im Krankenhaus ankommen, und andere 100 Patienten aber aufgrund der veränderten Krankenhausstruktur ganze 50 Minuten brauchen würden, dann liegt die durchschnittliche Zeit für die Fahrt ins Krankenhaus bei 20 Minuten. Es muss also im Durchschnitt nicht eine einzige Fahrt 20 Minuten dauern. In unserem Beispiel hätten 100 Schlaganfallpatienten reichlich Pech gehabt. Denn ja, ein Krankenhaus mit Stroke Unit, die spezialisiert ist auf Schlaganfälle, ist bestimmt besser als ein Krankenhaus ohne Stroke Unit. Aber: Die erste und wichtigste Forderung, so wurde es uns jahrzehntelang gepredigt: Beim Schlaganfall muss es schnell gehen.
Bleiben wir bei der Durchschnittsrechnung der ZEIT: Immerhin bestehen in 1049 Kliniken, die Schlaganfall behandeln 328 Stroke Units. Für all die Patienten, die vorher wie nachher in diese Kliniken eingeliefert werden, ändert sich die Fahrtzeit ja garantiert nicht. Ihr Weg bleibt gleich. Die zwei zusätzlichen Durchschnittsminuten müssen also rechnerisch auf all die anderen Patienten zusätzlich verteilt werden, die jetzt nicht mehr in den gut 700 anderen Kliniken abgeliefert werden. Das geht, wenn man den Durchschnitt zurückrechnet, für sie zählbar zu Lasten der durchschnittlich nur zwei zusätzlichen Minuten. Sie müssen ja quasi die zwei Minuten der nicht veränderten Fahrtzeit der anderen rechnerisch mittragen.
In Deutschland erleiden jedes Jahr mehr als 250000 Patienten einen Schlaganfall – und wer mag, darf da jetzt gern mit Durchschnitten weiterrechnen. Die Empfehlung ist immer noch: Ein Schlaganfall sollte möglichst binnen 30 Minuten ins Krankenhaus eingeliefert sein. Nun können auch Empfehlungen strittig sein: Unzweifelhaft ist, dass der Faktor Zeit beim Schlaganfall von größter Bedeutung ist. Und unzweifelhaft ist auch, wenn der Weg bis zum Krankenhaus mit Stroke Unit künftig bei 23 Minuten liegt, also zwei mehr als vorher, verteilt sich diese zusätzliche Zeit eben nicht gleich auf alle Patienten.
Der Fehler ist: Es geht ja gar nicht um den Durchschnitt. Es geht um jeden einzelnen. Und darum, dass niemand auf der Strecke bleibt. Bei der Durchschnittsrechnung ist aber garantiert einem nicht genau berechneten Anteil an Patienten ein deutlich längerer Weg in die Klinik beschieden als bisher.


Beispiel Nummer 2:


„12,1 Pflegekräfte kommen hierzulande auf 1000 Einwohner. Damit liegt Deutschland deutlich über dem EU-Durchschnitt. Das Problem: Sie sind auf zu viele Krankenhäuser verteilt und fehlen dann beim einzelnen Patienten. Wirklich knapp sind Pfleger dort, wo wir sie oft anwerben: in Osteuropa.“


Kurze Antwort: Ja, aber wenn ich die 12,1 Pflegekräfte auf wenige Krankenhäuser verteile, dann fehlen sie demnächst beim einzelnen Patienten wahrscheinlich erst recht. Denn diese Rechnung kann ja nur besser werden, wenn die einzelne Pflegekraft an ihrem einzelnen Arbeitsplatz insgesamt mehr Patienten betreut.


Und dann noch, zum Abschluss, ein Zitat aus den Quellenangaben:


„Bundesbürger hatten in einer Bevölkerungsumfrage zur Krankenhausreform die Gelegenheit, sich zu äußern. Die Ergebnisse finden Sie auf der Seite des Bundesverbands für Medizintechnologie.“ (Der Link dahinter: https://www.bvmed.de/de/bvmed/presse/pressemeldungen/bevoelkerungsumfrage-zur-krankenhausreform-ambulante-nachsorge-und-moderne-technologien-mitdenken)


Nein, auch dieser Satz stimmt so nicht, er ist zumindest missverständlich. Die Bundesbürger hatten nicht die Gelegenheit sich zu äußern. Es konnten sich nämlich nur die Bundesbürger äußern, die für die Umfrage gefragt wurden. Das waren 2500. Sprachlich richtig hätte es also heißen müssen: Einige Bundesbürger hatten ... die Gelegenheit. (Oder hatten sie den Auftrag?)
Nun sollen solche Umfragen ja repräsentativ sein, sagt man sich. Also geht es auch hier wieder um nichts anderes als den Durchschnitt. Aber der Wert des Durchschnitts trifft eben manchmal weder das Wesen der Sache, noch die Notwendigkeit.
Der zitierte Artikel listet deutlich mehr Fakten auf als diese drei Beispiele. Und bestimmt sind nicht alle krumm und schief aufgesetzt. Wer selber lesen will:
https://www.zeit.de/2023/28/krankenhausreform-medizinische-versorgung-personalmangel

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