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Mehr Schall als Rauch - Kommentar zum geplanten Rauchverbot im Auto

Der mediale Jubel ist groß: Rauchen im Auto soll unter Strafe gestellt werden, wenn Schwangere oder Minderjährige mitfahren. Im öffentlichen Nahverkehr ist das Rauchen längst verboten – und nun drohen, wenn der Entwurf aus dem Gesundheitsministerium den Bundestag passiert, dem Raucher und der Raucherin im Auto 3000 Euro Strafe, sofern Kinder oder Ungeborene mitfahren. Den Kindern im Auto drohen, laut Forschung, ganz andere Dinge, wenn sie mit rauchenden Rauchern unterwegs sind: den Ungeborenen zum Beispiel vermindertes Längenwachstum und eine eingeschränkte Lungenfunktion.

Also alles richtig, was das Bundesgesundheitsministerium nun als Referentenentwurf vorlegt.

Eine meiner schrillsten Kindheitserinnerungen, die nur im Nachhinein mit Humor zu ertragen gewesen ist, ist eine Autofahrt mit einem entfernten Onkel und drei nicht ganz so entfernten, dafür aber gewichtigen Tanten. Zwei saßen hinten – ich, klein, und ein wenig zusammengedrückt in deren Mitte. Die Sonne schien, das Wetter war schön – und Onkel Peter zündete sich eine Zigarre an. Weil das Wetter schön war und damit der Zigarrenrauch entweichen kann, öffnete er das Fenster. Ergebnis: Der Fahrtwind pustete mir einen Großteil des Zigarrenrauchs mitten ins Gesicht. Und wegen der erdrückenden Tanten blieb mir auch kein Platz, an anderer Stelle Luft zu holen. Ich war Rauch gewöhnt, die Zeiten damals anders, aber die Zigarre ist Zeit meines Lebens die schlimmste Tabakware geblieben. Sie stinkt nicht nur, sie erstickt einen förmlich.

Also hat Karl Lauterbach alles richtig gemacht.

Rauchen im Auto ist fürchterlich, erst recht, wenn Kinder im Auto sitzen. Genauso fürchterlich allerdings ist: Rauchen im Aufzug. Das stinkt noch, wenn der Verursacher längst verschwunden ist. Und auch da bleibt mir die Luft weg. Oder: Heimliches Rauchen auf der Toilette. (Der Fairness halber sollte ich jetzt vielleicht doch dazu schreiben, dass ich Ex-Raucherin bin.)

Also hat Karl Lauterbach alles richtig gemacht.

Er muss jetzt nur noch das Rauchen im Aufzug und das heimliche Rauchen auf der Toilette, zum Beispiel in Krankenhäusern oder Schulen, verbieten, oder? (Ich wüsste da einen zielführerenden Weg. Aber das Zigarettenverbot will aus bekannten Gründen garantiert niemand diskutieren, geschweige denn zu einem Referentenentwurf verarbeiten.)

Aber unheimlich wird mir beim Lesen der Nachrichtenflut zum Rauchverbot im Auto dennoch: Mir gehen solche Verbote nämlich entschieden zu weit. Und ich verstehe auch die psychologische Grundstruktur nicht, wenn die nach- oder sogar noch-antiautoritäre Gesellschaft sich vom Vater Staat solch patriarchale Verhaltensmuster wünscht. Vielleicht will ich’s auch nicht verstehen. Ja genau: Ich will das nicht verstehen. Zumal in den letzten zwanzig Jahren sich das Rauchverhalten der Menschen erfolgreich sehr grundlegend geändert hat. Ganz ohne Statistik: Seit meiner Kindheit ist mir kein Mensch mehr begegnet, der im Auto ungefragt raucht. Selbst ich habe in meinen schlimmen Zeiten keinen Nichtraucher auf solche Art belästigt.

Die andere Frage lautet: Wer soll das kontrollieren, Herr Lauterbach? Und wird die Polizei dann mit Schwangerschaftsschnelltests ausgestattet, um zu prüfen, ob Mitfahrerinnen schwanger sind? Und was ist, wenn da im Auto eine schwangere Frau sitzt, die dem Polizisten verschweigt, dass sie schwanger ist? Was ist, wenn die schwangeren Frauen bei der Polizeikontrolle sich und den Raucher herauslügen – entweder aus Solidarität oder gar aus reiner Unterwürfigkeit? Müsste ein solches Verhalten nicht auch gleich mitverboten werden? Die Frage, ob die rauchende Schwangere im Auto doppelt bestraft werden sollte, müsste auch noch mal in die Diskussion geworfen werden. Und ob die Zahl der mitfahrenden Kinder sich strafverstärkend auswirkt. 

Und dann gibt es noch eine ganz, ganz andere Frage: Wem, Herr Lauterbach, wollen Sie mit diesem Gesetz, das so schön und so gesund aussieht, das vielen langjährigen Forderungen gerecht wird, und das wahrscheinlich da draußen im wirklichen Leben auf nicht ganz so viele Realitäten trifft, ein Sahnetörtchen servieren? Und wofür?

Links:

Tagesschau, 07.07.2023:
https://www.tagesschau.de/inland/rauchverbot-autos-kinder-schwangere-100.html

Bild, 07.07.2023:
https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/rauchen-lauterbach-will-rauchverbot-im-auto-wenn-kinder-oder-schwangere-dabei-si-84598106.bild.html

Die R+V-Versicherung gibt einen Überblick über die geltenden Regeln in Deutschland und anderswo. Inklusive der Bußgelder in „anderswo“:
https://www.ruv.de/kfz-versicherung/magazin/rund-ums-fahren/rauchen-im-auto-was-ist-erlaubt-was-nicht

buten un binnen auf Triumphzug: Das Land Bremen hatte – zusammen mit anderen Ländern – das Thema vor vier Jahren schon in den Bundesrat gebracht. 07.07.2023:
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/lauterbach-rauchenverbot-auto-schwangere-kinder-100.html

Die Berliner Morgenpost kommentiert – Tenor: Im Zweifelsfall schadet das Verbot mehr, als es nutzt – und wer soll das alles überwachen? 07.07.2023
https://www.morgenpost.de/politik/article238882341/rauchen-verbot-auto-kinder-schwangere-schutz-kein-nutzen.html

Interessant, wenngleich auch nicht unbedingt verblüffend, die Stellungnahme des ADAC. Mit Hintergrundinformationen und Entstehungsgeschichte des möglichen Rauchverbots im Auto. Fazit: Rauchen im Auto ist in jedem Fall gefährlich, mit Kindern ganz besonders. Aber das sollte selbstverständlich sein, und nicht per Gesetz geregelt werden. 07.07.2023:
https://www.adac.de/news/rauchverbot-auto-kinder-schwangere/

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Kommentare 1

Mechthild Eissing am Montag, 09. Oktober 2023 09:22

Doch kein Rauchverbot im Auto - dank FDP. Bericht in der Tagesschau, 08.10.2023:
https://www.tagesschau.de/inland/ampel-lauterbach-rauchen-im-auto-plaene-100.html

Doch kein Rauchverbot im Auto - dank FDP. Bericht in der Tagesschau, 08.10.2023: https://www.tagesschau.de/inland/ampel-lauterbach-rauchen-im-auto-plaene-100.html
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