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Wir schaffen das - ein Stimmungsbild, mehr emotional als sachlich

Eine Welle der Erleichterung rollt durch das Land. Man kann sie hören, sehen, fühlen, vielleicht sogar riechen und mit Händen greifen.

Hören: All die Impftermine auf Parkplätzen, in Schulen, öffentlichen Gebäuden, Zelten und sonstigen Örtlichkeiten, auf die Beine gestellt von Medizinern, Verwaltungsmenschen, Apothekern und Organisationen sorgen landauf landab für Jubel: „Ich bin geimpft.“

Wer neben sich im Homeoffice einen Menschen sitzen hat, dessen Telefon zur Impf-Hotline wurde, der hört noch mehr. 1000 Termine von 17 bis 20 Uhr online vergeben – macht bestimmt gleichzeitig 30 bis 40 Telefonate in der Hotline, in denen Menschen ihren Impftermin redlich wieder freigeben, weil sie doch nicht können oder wollen, in denen Menschen versuchen, Freunde, Bekannte, Verwandte ebenfalls mit Impftermin zu versorgen – oder in denen Menschen einfach dankbar und erleichtert sind.

Und noch etwas kann man hören: Urlaubspläne zum Beispiel. Ich weiß von vielen Nachbarn, wo sie hinfahren würden, wenn sie denn könnten. Zwar kann man noch nicht, aber vielleicht doch bald – und dann wäre das Ziel auf jeden Fall am Meer. Konjunktiv – aber immerhin ein der Konjunktiv der Möglichkeit. Oder hochgestochener: Conjunctivus potentialis.

Sehen: Das Lächeln – es ist doch allgegenwärtig. Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass die Nachbarn, die Menschen an der Ampel neben ihnen oder in der Supermarktschlange vor oder nach ihnen (noch) viel eher als sonst zu einem Lächeln bereit sind? Oder zum Austausch verbaler Nettig- oder Witzigkeiten?

Oder die Schlangen: An der Moschee in Köln haben gestern die Menschen stundenlang in Hunderte Meter langen Schlangen darauf gewartet, dass sie an die Reihe kommen für eine Impfung in einer Impfaktion mit einem Impfstoff, der erst kurz zuvor für alle Erwachsenen freigegeben worden war.

Lesen kann man die Erleichterung auch. In der Heimatzeitung – egal ob auf Papier oder online. Über die jeweilige Impfaktion vor Ort. Mein Kölner Stadt-Anzeiger hat heute (10.05.2021) auf der Titelseite einen Aufmacher von drei Spalten mit Bild: 3500 Menschen in der Moschee geimpft. Im Lokalteil kommt dann noch die ganze erste Lokalseite dazu. Zu berichten gibt es mehr als genug – zum Impfen nur jetzt danach leider nicht mehr. Aber die 3500 Impfungen waren deutlich mehr als erwartet – und sie sind geschafft. Mehr könnten, werden auch, aber erst in sieben Wochen.

Das Straßen- und Parkbild ändert sich. Der Mai ist gekommen, und nicht nur die Bäume schlagen aus. Zu den Joggern und Spaziergängern, die bei Sonnenschein dicht an dicht durchs Tageslicht pilgern, gesellen sich jetzt die Banksitzer: kleine Grüppchen sich unterhaltender Menschen, die sich lange nicht gesehen und viel zu erzählen haben. Oder die Gruppen mit den Bier- oder Weinflaschen, die schon ein paar Pfandflaschen ordentlich um den Abfalleimer aufgestellt haben, damit die Menschen ohne Wohnsitz sie leichter einsammeln können. Zwar schlagen weder die Banksitzer noch die Flaschentrinker wirklich aus – aber sie schlagen doch ein wenig über die Stränge. Oder über die Strenge mit „e“. Vielleicht nur bis zum Ende der Ausgangssperre. Aber ganz gewiss bis dahin. In Köln 21 Uhr. Das alles trotz oder wegen des Lockdowns. Der Mai ist gekommen. Oder: Veronika, der Lenz ist da.

Fühlen: Nun ja, wer hört und sieht, was ich gerade geschrieben, der fühlt doch sein Herz in der Brust ganz neu schlagen, nicht wahr?

Riechen: Nur der Vollständigkeit halber. Es fliedert landauf landab. Und wo kein Flieder duftet, da steht das Maiglöckchen schon in den Startlöchern.

Noch habe ich nichts weiter beschrieben, als dass Impfaktionen und Frühling zeitlich zusammenfallen und dass die Menschen sich freuen. Jetzt gilt es noch Freude und Ursache in Beziehung zu setzen. Und ehrlich gesagt: So wunderbar wie die Impfaktionen allerorten sind: Sie enden alle beim Impfstoffmangel. Und der Frühling, der die Menschen scharenweise in die Parks lockt, tut das ja auch nur, weil er sich in Wirklichkeit in diesem Jahr rar macht, und weil er sich für die einzige Ausnahme freundlicherweise einen Sonntag vorgenommen hat.

Warum also diese überbordende Freude, wenn die Anlässe so deutliche Grenzen haben? Denn auch die Urlaubspläne, die mir von den Nachbarn lächelnd unterbreitet werden, sind ja nur deswegen so begeisternd, weil sie vielleicht bald möglich sein könnten. Real ist anders.

Also: Warum dieser Stimmungswandel?

Ich habe da eine Theorie: Weil wir das schaffen. Und zwar schaffen wir das keineswegs deswegen, weil Frau Merkel das gesagt hat. Auch nicht deswegen, weil irgendein anderer Politiker dieses Gefühl aufrechthalten konnte. Auch Bob der Baumeister ist schon vor Jahren stillschweigend auf irgendeiner Baustelle in der Versenkung verschwunden.

Und wir schaffen das trotzdem! Wir schaffen das, weil Ärzte, Apotheker, Arzthelferinnen und Arzthelfer, KVen und viele Menschen irgendwelcher anderer Gruppen einfach loslegen. Vollkommen egal, wie weit der Impfstoff reicht. Sie sind losgegangen – und wir alle gehen weiter. Wir schaffen das. Selber. Ohne Verordnung, ohne Anordnung, ohne Ordnung. Einfach so. Ganz allein. Ohne Bürokraten und Politiker. Wir.

Genausogut wie „Wir schaffen das“, ist aber das Gefühl, einen Ausweg gefunden zu haben. Einen Ausweg aus dem Gefängnis Wohnung, weil der Mai ja gekommen ist. Und einen Ausweg aus der Pandemie. Nicht, weil Millionen von Bundesbürgern in Impfzentren geimpft werden. Das werden sie, gewiss doch. Es gibt auch keinen Zweifel, dass die Impfzentren den größten Teil zur Überwindung der Pandemie beitragen. Aber das reicht nicht fürs Gefühl der Erleichterung und Befreiung.

Das Gefühl, einen Ausweg aus pandemischen Zwängen gefunden zu haben, rührt mit Sicherheit von den Impfaktionen landauf und landab. Wir wissen uns eben selbst zu helfen, wenn uns sonst nicht mehr zu helfen ist. Und irgendwer, den wir kennen vom Roten Kreuz, aus der Arztpraxis, aus dem Betrieb, aus der Nachbarschaft, aus der Schule: Irgendwer hat sich für unseren Impftermin eingesetzt, hat ihn organisiert und durchgezogen, hat uns den Tipp gegeben und hat uns – ganz persönlich – der Pandemie ein Stückchen entrückt.

Frau Merkel: Wir schaffen das. Im Zweifel auch ganz gut allein.

Seehofer positiv auf Corona getestet
Impfaktionen landauf landab

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