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Wenn das Tattoo nun doch nicht bleiben soll ...

Der Auftrag ist (fast) eindeutig – und schon ziemlich alt: „Ritzt eure Haut nicht ein aus Trauer um einen Toten und lasst euch nicht tätowieren. Ich bin der Herr!“ Der Herr, der da in Levitikus 19, Vers 28, diese Regel formuliert, ist Gott selbst. Aber damals wie heute hat ein Großteil der Menschheit die Stimme des Herrn nicht gehört – und ein anderer großer Teil der Menschheit verweist darauf, dass das biblische Tätowier-Verbot nur für den Fall der Trauer gesetzt ist. Also: Tätowieren ja, nur nicht um der Toten willen. Der große Teil der Menschheit, der das Verbot nicht gehört hat, lässt sich auch zählen: In Deutschland tragen, wenn man der Grafik von Statista trauen darf, 36 Prozent der Menschen ein Tattoo. (Alle Links am Ende des Textes.) An der Spitze der Umfrage unter 18 Ländern liegt Italien: Dort sind es gar 48 Prozent der Menschen, die ihre Haut bebildern oder beschriften.

Und nun kommt die (tätowierte) Menschheit das Ganze teuer zu stehen. Denn es gibt ein neues Gesetz – und zwar eines, das die Laserstrahl-Tattoo-Entfernung in den Tattoo-Studios verbietet und sie in die Arztpraxis verweist. Ende 2020 ist Ende. Schuld an dem Verbot ist diesmal nicht der Herr, sondern das Bundesamt für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

Die „Welt“ – bzw dpa – fürchtet heute (21.8.2019) gleich das Schlimmste: Verblichene Tattoos am Strand sind dabei noch eher harmlos – und treffen eher die Außenstehenden. Denjenigen, die an ihrem Tattoo – im schlimmsten Fall auch noch einem völlig missglückten – verzweifeln, droht der dpa-Artikel mit Hinterzimmern und teuren Auslandsaufenthalten. Und nicht zu vergessen: Bislang gehen die Kosten in die Tattoo-Studios für die Entfernung der Bebilderungen schon in die Tausende.

„Wie es wirklich ist“, Tattoos entfernen zu lassen, hatte 2018 die „Zeit“ beschrieben – sie hat jemanden zu Wort kommen lassen, der sich damit auskennt. In der Rubrik „Wie es wirklich ist“. In Wirklichkeit also entfernt dieser Mann am häufigsten die Namen der ehemaligen Partner. (Hier bekommt das biblische Trennungsverbot möglicherweise auch eine ganz neue Bedeutung.)

Vielleicht aber gibt es, gesamtgesellschaftlich gesehen, ein wenig Hoffnung. Wenn nämlich bereits fast die Hälfte der Menschheit tätowiert ist, ist es natürlich eher schwer, einzigartig zu sein und zu bleiben. Und so blieb die Branche von Trends in den vergangenen Jahren nicht verschont, die FAZ berichtete Ende Juli vom „Ignorant Style“, der Milchtüten, Einkaufskörbe oder Blumentöpfe möglichst farblos und feinlinig in Menschenhäute ritzt. Denn die Szene, wenn sie denn diesen Namen überhaupt noch tragen kann, hatte genug von überhöhten oder überzeichneten Symbolen, Bildern und Kunstwerken. Einfach und ohne Aussage, so lässt sich der neue Stil beschreiben. Blöd nur, dass man jetzt den Künstler vom Anfänger nicht mehr unterscheiden kann.

Das Licht am Ende des Tunnels, das als Hoffnungsschimmer durchblinken mag, kommt nun beileibe nicht aus der Laserpistole und schon gar nicht vom Bundesamt für Umwelt und Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Hoffnung liegt ganz deutlich auf dem Zeitgeist: Denn wenn ich den Ignorant Style nun ideologisch überhöhe oder weiterdrehe, dann kann doch die Konsequenz nur noch das unsichtbare Tattoo sein, oder?

In der Kunst hat’s das schon gegeben. 2014 eroberten Berichte über eine Künstlerin namens Lana Newstrom die Presse, in denen Ausstellungsräume und Bilder mit unsichtbarer Kunst gezeigt wurden, die die Künstlerin auch nur unter großer geistiger Anstrengung hatte vollbringen können. Kunstliebhaber sollen bereit gewesen sein, Millionen in diese Form der Kunst zu investieren. Dass das Ganze eine Satire war, war in der Berichterstattung nicht immer ganz klar.

Kurz: Das wahre Tattoo ist nicht zu sehen. Fehlt nur noch der Künstler, den der Hafer sticht.

Und ein völlig überflüssiger Hinweis am Ende: Die Nachricht, dass die Entfernung der Tattoos mit Laser nur noch in Arztpraxen erfolgen darf, ist weder neu, noch unmittelbar akut: Der Bundesrat hatte darüber bereits im Oktober 2018 entschieden. Zeit bleibt allen Tätowierten aber noch bis Ende 2020. Der Artikel in der Welt, verfasst von dpa, gehorchte wahrscheinlich einem noch ganz anderen Gespenst. Dem Sommerloch.

Der dpa-Artikel u.a. in:

Die Ärzte-Zeitung, 19.10.2018
https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/berufspolitik/article/974157/bundesrat-nur-noch-aerzte-duerfen-tattoos-entfernen.html

Infos auf ästhetik.art:
https://aestheticart.de/blog/tattooentfernung-gesetz/

„Wie’s wirklich ist“, Zeit, 30.8.2018
https://www.zeit.de/2018/36/tattoo-entfernung-laser

Levitikus, 18,28, Einheitsübersetzung von 2016 im Bibelserver:
https://www.bibleserver.com/text/EU/3.Mose19

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