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Von der Vermeidbarkeit der Todesfälle - ein Kommentar

Da stehen sich gegenwärtig nicht nur im Internet zwei Überschriftenblöcke einander gegenüber: "Tausende vermeidbare Todesfälle in Deutschland", lautet die aktuellere von beiden. Diese Überschrift ist heute häufig, sie ist variabel, sie ist, nebenbei gesagt, auch missverständlich, denn sie suggeriert eine gewisse Schlampigkeit, mindestens aber Unzulänglichkeit, im Umgang mit den Kranken und mit dem Tod in Krankenhäusern. Die Häufigkeit dieser und ähnlicher Überschriften hat als Ursache eine Analyse der Regierungskommission zur Krankenhausversorgung. Darin wurde eben herausgefunden, dass in spezialisierten Krankenhäusern weniger Menschen an der Krankheit sterben, auf die diese Krankenhäuser spezialisiert sind, als in Krankenhäusern, die diese Kranken auch behandeln, aber nicht auf diese Krankheit spezialisiert sind. (Links am Textende)

So weit, so klar, so einleuchtend und wahrscheinlich auch ohne Gegenrecherche als völlig richtig einzuschätzen.

Der andere Überschriftenblock zieht sich durch die regionalen Fernsehsender. Die Schlüsselwörter sind hier Pleitewelle, Insolvenzwelle, Patient Krankenhaus. Diese Nachrichtengruppe ist ein bis zwei Tage älter als die vermeidbaren Todesfälle, die sich heute als Ausrufezeichen und als Forderung durch die Medien ziehen. Ihr Anlass: ein bundesweiter Protesttag der Krankenhäuser am 20. Juni. Denn das ganz große Rollout der ganz großen Krankenhausreform ist längst ins Rollen gekommen.

Dass der eine Nachrichtenblock mit dem anderen Nachrichtenblock unmittelbar zusammenhängt, liegt auf der Hand. Und dem fleißigen Beobachter des Zeitgeschehens ist dieser Konflikt auch nicht verborgen geblieben. Er schwelt seit Jahren. Der Paukenschlag als öffentlicher Auftakt war dabei sicher die Bertelsmann-Studie, die 2019 die Schließung von mehr als der Hälfte der deutschen Krankenhäuser forderte. Von insgesamt 1400 Krankenhäusern, so die Studie damals, sollten am besten nur 600 Krankenhäuser erhalten bleiben. So ließe sich die Qualität der Krankenhäuser verbessern.

Und nun, vier Jahre und Corona später, darf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das alles umsetzen, die Zahl der Krankenhäuser verringern und die Qualität steigern. Eine Rolle, die er sich selbst auch schon 2019 auf den Leib geschrieben hatte.

Selbst vorausgesetzt, die Berechnungen, Analysen und Projizierungen sind allesamt richtig: Sie haben aber auch allesamt dieselben Fehler. Der Kranke ist in ihnen Teil einer Behandlungskette geworden, die vor lauter Optimierung den Kranken vergisst. Das ließe sich alles noch aushalten, auch vonseiten des Kranken, wenn das Ziel für ihn erstrebenswert ist. Doch das allgemeingültige Ziel lautet eindeutig: Todesfälle vermeiden. Im Grundsatz mag dieser Gedanke ja sogar noch richtig sein, denn der Arzt ist dem Leben, nicht dem Sterben verpflichtet. Doch Tod und Krankheit sind in jedem Fall ein Einzelfall. Und manche Krankheiten dienen den Kranken dazu, ihnen den Tod zu ermöglichen. Tod und Krankheit sind ein Teil des Lebens. Eine Gesellschaft, die die Krankenhäuser dahingehend optimiert, dass sie Todesfälle möglichst vermeidet – und die Möglichkeit des Sterbens zu verhindern sucht, wird möglicherweise den Kranken und den Sterbenden nicht mehr gerecht werden können.

Sicher, man kann auch in einem spezialisierten Krankenhaus sterben. Doch mir scheint, in den Krankenhäusern der Zukunft wird es keinen Raum geben, der das Sterben und das Kranksein wirklich duldet, trägt und vielleicht sogar begleitet.

Es sind vielleicht nicht einmal die Studien, die falsch sind. Und es würde zynisch wirken, wollte man die einen und die anderen Kranken sortieren und auf gute und schlechte Krankenhäuser verteilen. Nach dem Motto: Wer sterben will, der sterbe. Nein so ganz gewiss auch nicht. Aber der Fehler ist grundlegender: Das Krankenhaus ist längst kein Haus mehr, in dem der Kranke auch siechen darf. Das Siechtum ist nämlich längst aus unserem Vokabular gestrichen – und Siechtum im Krankenhaus unerwünscht bis unbezahlbar. (Der Duden drückt sich an dieser Stelle übrigens und kategorisiert das Wort Siechtum als „gehoben“. Das trifft die Sache nicht wirklich.)

Da stehen wir nun in einer Gesellschaft, die sogar den Tod beherrschen will. Aus den Krankenhäusern jedenfalls soll er verbannt werden. Wer nur noch sterben kann und wem das Leben zu Ende geht, der ist dort schon lange nicht mehr gut aufgehoben. Für ihn ist das Hospiz der richtige Ort. Das mag sinnvoll sein – und für die Sterbenden und die Angehörigen von Vorteil. Aber es ist auch ein gesellschaftliches Bekenntnis: Der Tod ist im Krankenhaus nicht erwünscht.

Und überhaupt ist der Tod bei uns ausgesprochen unerwünscht. So sehr, dass demnächst am Ende des Lebens das selbstbestimmte Sterben den Erlöser und den Tod, der einst als Sensenmann gedacht war, ersetzen wird. Es fehlt nur noch die richtige Gesetzesgrundlage.

 

 Linkliste - nur als Ausgangspunkt zur Eigenrecherche:

 

Analyse der Regierungskommission zur Effizienz und Spezialisierung von Krankenhäusern

Tagesschau, 22.06.2023 „Tausende vermeidbarer Todesfälle in Krankenhäusern“
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/tote-krankenhaeuser-100.html

Spiegel, 22.06.2023: „Tausende vermeidbarer Todesfälle in deutschen Krankenhäusern“
https://www.spiegel.de/gesundheit/krankenhaeuser-tausende-vermeidbare-todesfaelle-jedes-jahr-in-deutschland-a-c39b3a09-1a35-4592-a574-452e1db4527d

Insolvenzwelle Krankenhäuser

WDR, 20.06.2023:
https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/krankenhaeuser-protesttag-100.html

NDR, 20.06.2023:
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Pleitewelle-droht-Der-Patient-Krankenhaus-ist-kritisch-krank,krankenhaeuser242.html

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft zum bundesweiten Protesttag am 20. Juni:
https://www.dkgev.de/fair/protesttag-krankenhaeuser-in-not/

Zur Bertelsmann-Studie:

Ärzteblatt: „Bertelsmann-Stiftung sieht 600 Krankenhäuser als ausreichend für die Versorgung an“,  15.07.2019:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/104629/Bertelsmann-Stiftung-sieht-600-Krankenhaeuser-als-ausreichend-fuer-die-Versorgung-an

Zum Siechtum:

Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Siechtum

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