Von der Care-Arbeit und ihrer Bezahlung - ein Rück- und Querblick
Kinder, Kirche, Küche – aus dieser Alliteration hatten die Frauen sich befreien wollen. Lange schon. Diese Befreiung ist ihnen offensichtlich nicht, mindestens aber nicht vollständig gelungen. Einziger Erfolg: Die Hausfrau ist gegenwärtig vollständig diffamiert. Wer angibt, Nur-Hausfrau zu sein, erntet allenfalls Mitleid. Zu Recht – denn eine Rente reicht längst nicht mehr für zwei Personen. Und ein Partner längst nicht mehr fürs Leben. Die Erinnerung aber an die Zeiten, in denen die Hausfrau im Wortsinn die Frau des Hauses, also die Hausherrin war, ist nicht nur verblasst, sie ist vor allem entwertet. Einerlei, ob Frau des Hauses, Hausfrau oder Hausherrin – in all diesen Vergangenheitsformen kann ja nur Unterdrückung liegen. Die Unterdrücker sind auch namentlich bekannt: Sie sind die Hausherren, die Väter, die Patriarchen – und am Ende sogar alle Männer. So einfach scheint die Wirklichkeit der Vergangenheit zu sein.
Die Nur-Hausfrau ist also längst ausgestorben oder sie vegetiert und putzt undercover in heimischer Küche heimlich vor sich hin. Oder: Sie bloggt, was das Zeug hält, in der Absicht das Nötige mit dem Nützlichen zu vereinen. Stattdessen bemüht sich die Nichthausfrau der Gegenwart darum, ein beruflich selbstständiges Leben zu führen und die Hausarbeit, die tatsächlich immer schon mehr war, als nur die Arbeit im Haus, irgendwie so nebenbei zu bewältigen, dass sie auch noch Zeit hat für Mann, Frau, Hund und Kind. Für Mutter und Vater und möglicherweise deren Pflege. (Die Hausarbeit der Männer ist seit Jahrzehnten immer ein journalistisches und statistisches Schmankerl. Aber ja: Sie findet statt)
Für all die Hausarbeit gibt es seit den 90er-Jahren einen neuen Begriff: Care-Arbeit. Wer die leistet, leistet gesamtgesellschaftlich betrachtet, wichtige Arbeit. Leider immer noch unentgeltlich – und leider sind es immer noch zumeist die Frauen, die dergestalt wichtig sind. So die Klage, die öffentlich und allgegenwärtig ist. Schön ist: Auch die Care-Arbeit beginnt mit K. So sind wir also fast schon wieder bei „Kinder, Kirche, Küche“. Nur die Kirche ist unterwegs verloren gegangen. Was irgendwie auch schade ist. Denn sie ist es, die die Care-Arbeit einstens in den Mittelpunkt stellte. Der „Charitasverband für das katholische Deutschland“ wurde am 9. November 1897 gegründet, so die Auskunft auf Wikipedia.
https://de.wikipedia.org/wiki/Care-Arbeit
Okay, ich gebe zu: Das sieht jetzt alles sehr weit hergeholt aus. Denn dem Charitas-Verband ging es ja ursprünglich gar nicht um Kinder, Kirche und Küche, sondern um die Armen. Beziehungsweise um die Nächstenliebe.
Trotzdem zurück zur Care-Arbeit. Deren Ursprung ja eigentlich die lateinische Caritas ist. Nächstenliebe. Tatsächlich überkommt sie uns aber in den 90er-Jahren unmittelbar aus dem englischen Sprachraum. Und nicht nur das, sie schloss sich von da aus feministischen Theorien an. Schöner ist’s wörtlich im Zitat von Wikipedia:
„Der Ausdruck care work entstand in den 1990er Jahren im englischen Sprachraum und schloss an feministische Theorien um Reproduktionsarbeit und Haus- und Familienarbeit im Zuge der zweiten Frauenbewegung an. Dort wurde unbezahlte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige und zumeist von Frauen geleistete Arbeit sichtbar gemacht und ihre Bedeutung für die Wiederherstellung der Arbeitskraft herausgearbeitet. Mit dem Care-Begriff wurden unter anderem der Arbeitsinhalt und die Beziehungsaspekte von Pflege stärker reflektiert. Care-Arbeit umfasst bezahlte und unbezahlte Arbeit. Sie orientiert sich an den Bedürfnissen anderer Personen (englisch other centred work).“
(Alle Links und Fußnoten im Text oben entfernt, Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Care-Arbeit)
Da wurde also in den 60er-Jahren unbezahlte Hausarbeit in der zweiten Frauenbewegung (andere Literatur spricht da eher von Wellen) sichtbar gemacht. Denn: Die Gesellschaft hatte sich reichlich gewandelt, dahingehend dass der gesellschaftliche Status der Frau des Hauses bis zur unbezahlten Hausfrau heruntergekommen ist. In den Jahrzehnten und den Jahrhunderten zuvor wurde nämlich die Hausarbeit in breiten Gesellschaftsschichten bezahlt. Nicht nur beim Bürger. Auch beim Bauern. Dienstboten, Mägde, Knechte gehörten wie selbstverständlich zu Familie – und sie waren es, die die Care-Arbeit leisteten – und bezahlt wurden. Vielleicht gering, aber bezahlt.
So wurde am 28.02.1777 zum Beispiel im Münsterischen Intelligenzblatt ein Mann für die Garten- und Hausarbeit gesucht:
„In einer kleinen Haushaltung wird gegen Ostern ein Bedienter verlangt, so Garten- und Hausarbeit verstehet
...“
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/4382677
Nun, aufgrund der Gartenarbeit und unserer (Un)-Kenntnisse, vermuten wir wohl zu Recht, dass dieser Mann nicht für die drei K angestellt werden sollte. Aber immerhin fürs Haus und die Arbeit, die darin zu verrichten war. Und dieser Hausknecht war gar keine Ausnahme. Die Hausarbeit sein Los – wenngleich er nicht gebügelt haben wird. Schon eher den Ofen befeuert und das geschlachtete Schwein zerteilt.
Dass die Hausarbeit tatsächlich nicht allein von der Hausfrau ausgeübt wurde, wird auch in einem anderen Zitat wunderbar deutlich. Es geht um das Paderborner Kaffeeverbot (gegen das die Paderborner, ganz gegen ihren Ruf, später um den Dom lärmend heftigst protestiert haben).* Angesprochen sind im Verbot: „Ein gemeiner Bürger oder Bauer oder ein anderer von seiner Hand-Arbeit lebender Eingesessener, worunter auch alle Rathsverwandten, Pedellen, Gerichtsdiener, Unterofficiers, Soldaten, Zunft- und Gildegenossen, Wirthsleute, Handwerker und Livree Bediente begriffen werden, oder deren Ehefrauen und Kinder …“ Es folgt die Strafe, die all diesen Menschen droht, wenn sie beim Kaffeetrinken erwischt werden. Sie beträgt 5 Reichsthaler. Aber das ist der Drohung noch nicht genug: „mithin wird sich ein jeder Hausherr und Hausfrau zu hüten wissen, daß sie ihren Domestiquen, Dienstbotten, insonderheit ihren Wäscherinnen, Büglerinnen und anderen Arbeitsleuten keinen Kaffee mehr reichen lassen …“
Paderbornisches Intelligenzblatt, 29. März 1777
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/4925835
Domestiken, Dienstboten, Wäscherinnen, Büglerinnen – und andere Arbeitsleute. Im 18. Jahrhundert ist also – und das wahrscheinlich in weiten Kreisen – die Hausarbeit zumindest nicht unbezahlt. Und mindestens bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts arbeiteten die Töchter, die auf dem Dorf und auf den Höfen noch nicht verheiratet waren, als Mägde bei anderen Leuten auch selbigen Standes. Meine Großmutter und ihre Schwestern, geboren um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, gingen allesamt in Stellung. Um dort die Care-Arbeit zu erledigen. Bezahlt.
Dass das schwer war, keine Frage. Die Großtante hat’s bezeugt. Der Arbeitstag begann oft um 5 und endete genauso oft spät. Und ja: Unter feministischen Fortschritt können wir diese Form der Care-Arbeit auch nicht verbuchen. Wohl aber könnte die Erkenntnis von Bedeutung sein, dass es nicht immer die allein die Hausfrauen waren, die die Arbeit am Bügeleisen, Herd und Waschtrog erledigten.
Hier noch eine schöne Zeitungsannonce aus dem Münsterschen Intelligenzblatt vom 18.01.1791:
„Es wird von einer Herrschaft ein Hausknecht in Dienste verlangt, der besonders gut in der Küche zur Hand gehen kann und sonstige vorkommende Hausarbeiten zu verrichten imstande ist.“
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/4391443?query=hausarbeit
Doch auch wenn der Hausknecht früher wie selbstverständlich in der Küche zur Hand ging: Der Abwasch wird damit wohl kaum gemeint gewesen sein. Auch die „zweite Welle“ der Frauenbewegung hat daran nicht wirklich viel ändern können. In einem Artikel vom 28.11.1969 fragt Gabriele Schäfer in der Überschrift der Honnefer Zeitung: „Ist die Hausfrau nichts mehr wert?“ Sie trägt zusammen, was geltendes Image aus Vergangenheit und Gegenwart zu sein scheint, um dann wacker für die Berufung als Hausfrau einzutreten:
„Da das Schicksal der Hausfrau früher oder später jeder Frau einmal blüht, sollten die jungen Frauen versuchen, ihrem neuen Beruf die besten Seiten abzugewinnen, nämlich die Selbstständigkeit und die relativ große Freiheit. Und die Ehemänner sollten ihren Frauen die Hausarbeit zusätzlich durch ein großzügiges Taschengeld schmackhaft machen. Der Beruf der Hausfrau muss wieder aufgewertet werden.“
https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/4347559
Autorin Gabriele Schaefer hat, so die Quer-Recherche im Zeitungsportal, mindestens von 1963 bis 1970 auf und mit der Seite „Die Welt der Frau“ in der Honnefer Volkszeitung ihr Geld verdient. Ob sie von ihrem Mann ein Taschengeld für den Haushalt erhalten hat, lässt sich leider nicht herausfinden.
* Unter der schönen Überschrift: „Liberté, Egalité, Bohnenkaffee: Der Paderborner Kaffeelärm von 1781“ informiert das Erzbistum Paderborn über die ganze Geschichte:
https://www.erzbistum-paderborn.de/news/liberte-egalite-bohnenkaffee-der-paderborner-kaffeelaerm-von-1781/
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