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Vaterlos und schlecht in Mathe - Statistik und ihre Auswertung

Churchill glaubte bekanntlich nur an die Statistik, die er selbst gefälscht hätte. Ich will mich zwar nicht mit Churchill messen, aber glaube: Man muss die Statistik gar nicht fälschen, um Aussagen zu treffen, die einem gerade gut in die Absicht passen. Oder drastischer: Auch mit ungefälschter Statistik kann man ohne Zweifel ziemlichen Unfug daherreden.

Oder was denken Sie, wenn Sie lesen:

„Kinder älterer Mütter sind offenbar besser in Mathe“

Diese Überschrift stammt aus der ZEIT, und gewiss hatte der ZEIT-Internet-Setzer bei dieser Nachricht das zwingende Bedürfnis, gleich mit anzugeben, wer diese Statistik nicht gefälscht hat: Es ist das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Wenn Sie bei diesem Institut in den Pressemitteilungen nachschlagen, müssen Sie auch noch erkennen, dass die Bearbeitung in der ZEIT tatsächlich redlicher mit den Faktoren Wahrheit und Wirklichkeit umgeht. Das Bundesinstitut nämlich titelt:

„Kinder von älteren Müttern sind besser in Mathe und sozial kompetenter“

Das Bundesinstitut kommt also ganz ohne das Wort „offenbar“ der ZEIT-Überschrift aus, das im Duden erläutert wird mit: „dem Anschein nach, wie es scheint“. (Alle Links am Textende)

Nehmen wir einmal an, dass die Statistik des Bevölkerungsforschungsbundesinstitutes nicht gefälscht ist. Offenbar aber handelt es sich hier um Unfug. Tatsächlich hat diese Statistik ergeben, dass Kinder, deren Mütter bei der Geburt jünger als 30 Jahre alt waren, unterdurchschnittlich sind in Mathe. In der ZEIT kommentiert das ein kluger Leser mit dem Satz: Je größer die Füße der Kinder, desto besser ihre Lesekompetenz. Gut gebrüllt, Löwe – und ganz ohne Statistik können wir diesen Satz auch für wahr erachten.

Aber für die Erkenntnis, dass es den Kindern jüngerer Mütter an diesem und jenen mangelt, braucht es eben doch eine Erhebung, denn sie liegt weder auf der Hand, noch lässt sie sich an der Fußlänge abmessen. Vielleicht finden wir den richtigen Weg zur Erkenntnis, wenn wir das Pferd von hinten aufzäumen, die Statistik also von ihrem Ergebnis her auswerten: Die jüngeren Mütter bräuchten Unterstützung. Es sei ihren Kindern nicht möglich, sich frei und sicher den Themen Mathe und sozialer Kompetenz zuzuwenden. So ungefähr, aber mit meinen Worten nacherzählt, lautet der Inhalt des Textes, den das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zum Thema verfasst hat und den dpa nun auch über die ZEIT in alle Welt hinausschickt. Nun sind wir nicht mehr ganz fern von der Absicht, mit der diese Statistik nicht einmal gefälscht wurde: Man, das soll wohl heißen der Staat, muss diese jungen Mütter unterstützen. So das Fazit, das ich persönlich auch gerne ohne jede statistische Erhebung unterschrieben hätte. Wichtige Unterstützer aber wären zum Beispiel doch auch die Väter. Die aber werden in der Pressemitteilung nicht einmal erwähnt, und ich fürchte, auch die statistische Erhebung hat sie nicht in Betracht gezogen. Es gibt sie nicht. Nicht als Unterstützer, geschweige denn als Altersgruppe. Auch das ist einem der Online-Kommentatoren der ZEIT aufgefallen.

Böse, wer da unterstellt, dass das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung nicht in familiären Zusammenhängen denken kann oder will. Das Alter der Väter zumindest scheint für die Mathebegabung der Kinder keine Rolle zu spielen und ihre An- oder Abwesenheit auch nicht. Sie sind schlicht bedeutungslos.

Das Bundesamt für Bevölkerungsforschung hält aber noch mehr Statistiken im Internet bereit, die man gewiss nicht ungeprüft als Vergleich heranziehen darf. Das wäre ja vollkommen unwissenschaftlich. Ich tu’s mit Freuden dennoch. Ganz unverfälscht ist bestimmt auch die Statistik, nach der das Durchschnittsalter der Deutschen (welches Gebiet auch gerade immer historisch gemeint gewesen ist), fast bis 1930 etwa bei 30 Jahren lag. Die durchschnittliche Frau konnte bis 1930 also theoretisch nur unterdurchschnittlich mathebegabte Kinder zur Welt bringen. Aber wie gesagt: Das ist nun wieder vollkommen unwissenschaftlich. Denn bestimmt waren die Bedingungen, in denen die Kinder bis 1930 aufwuchsen, dergestalt besser, dass zumindest ein paar überdurchschnittliche Matheschüler unter ihnen gewesen sein dürften. Die durchschnittlichen Kinder der Mütter, die bis 1930 älter als 30 Jahre waren bei der Geburt ihres Kindes, aber waren damals bestimmt schlechter in Mathe, als sie es heute sind, da sie statistisch und durchschnittlich betrachtet ja schon sehr bald ihre Mütter verloren.

Bleibt die Frage, wie wir bislang mit unterdurchschnittlichen Mathekenntnissen im wirklichen Leben zurechtgekommen sind. Wie wir mit diesen unterdurchschnittlichen Mathefähigkeiten in der Statistik zurechtkommen, das hingegen ist wohl gar keine Frage.

Nachtrag:

Die Mutter von Johann Carl Friedrich Gauß, geboren 1777, war übrigens 32 oder 33 Jahre alt, als sie den Mathematiker zur Welt brachte. Doch dieser Beweis ist unzulänglich, denn Gauß soll, so die Anekdote, die sich auch auf Wikipedia findet, schon im Alter von drei Jahren seinen Vater bei der Lohnabrechnung unterstützt haben. Und auch wenn wir diese Begebenheit kaum als Wahrheit gelten lassen können, so zeugt sie immerhin davon, dass auch die Väter von Bedeutung sind, wenn es um die Mathebegabung der Kinder geht.

Links:

Der Text in der ZEIT ist vom 06.04.2024:
https://www.zeit.de/gesellschaft/2024-06/aeltere-muetter-kinder-mathe-studie

Der Text vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung ist ebenfalls vom 06.04.2024:
https://www.bib.bund.de/DE/Presse/Mitteilungen/2024/2024-06-06-Kinder-von-aelteren-Muettern-sind-besser-in-Mathe-und-sozial-kompetenter.html

Die Grafik zum Durchschnittsalter der Deutschen finden Sie beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hier (mit der schönen Erklärung, dass das Durchschnittsalter der Frauen jeweils höher ist als das Durchschnittsalter der Männer, weil die Frauen eine höhere Lebenserwartung haben).
https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/B19-Durchschnittsalter-Bevoelkerung-ab-1871.html

Und zum Schluss auch noch der Link zum Duden:
https://www.duden.de/rechtschreibung/offenbar_unzweifelhaft_augenfaellig

Wikipedia zu Gauß:
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Gau%C3%9F#Eltern,_Kindheit_und_Jugend

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