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Nein, nicht einmal die Mutterschaft ist gewiss

Nicolas Poussin: Das Urteil des Salomon, Louvre, Paris
https://de.wikipedia.org/wiki/Urteil_des_Salomon_

Der biblische König Salomo ist schon lange tot und kann sich deshalb wahrscheinlich längst nicht mehr im Grabe umdrehen. Das ist sein großes Glück. Denn sein Kreidekreis, in dem es fast zur Zerreißprobe am Kind kommt, als die Frage nach der wahren Mutterschaft geklärt werden sollte, reicht in unserer Zeit bei Weitem nicht mehr aus, um Mütter und Kinder richtig einander zuzuordnen.

Ob Bert Brecht, wenn er im Grabe könnte, wie er wollte, seinen Bleistift wieder spitzen würde, wenn er wüsste, wo wir mittlerweile in Fragen nach der wahren Mutterschaft gelandet sind, weiß ich nicht. Aber Stoff und Anstoß für ein wahrhaft literarisches Dilemma hätte er zur Genüge. Er müsste nur den Kreidekreis zum Labyrinth ohne Ausweg erweitern.

In Los Angeles, so ist es der Tagespresse zu entnehmen (alle Links am Textende), klagt ein Paar gegen eine Fruchtbarkeitsklinik. Die hat nämlich im Zuge künstlicher Befruchtung Embryonen verwechselt. Das Kind, das das Frau  daraufhin zur Welt brachte, hatte dunkle Haut und schwarze Augen. Das weckte berechtigte Zweifel, die später durch einen Gentest bestätigt wurden. Das Kind, dessen genetische Eltern dieses Paar ist, wurde kurze Zeit später von einer anderen Mutter geboren.

Sie sehen, warum sich Salomon drehen und wenden müsste, ohne eine Lösung zu finden. Die Presse und die klagende Mutter sprechen vom Trauma. Aber nur in Anführungsstrichen. Wer denn würde die herbeigesehnte Mutterschaft als Trauma bezeichnen wollen. Die klagende Mutter hat schließlich das Kind, das in ihr aufgewachsen ist, kennen, lieben und stillen gelernt. Und auch die bereits fünfjährige Tochter hatte das Schwesterchen, das nach Auflösung der Verwirrung wieder abgegeben werden musste, sehr lieb gewonnen.

Nun also sind die Kinder und Mütter wieder genetisch richtig zugeordnet. Das Trauma der klagenden Mutter wird medial in Tüddelchen gesetzt – und die Traumata, mit denen sich zwei Mütter, zwei Väter, zwei Kinder und eine Schwester nun ihr Leben lang werden auseinandersetzen müssen, sind noch lange nicht beschrieben.

Ein Einzelfall? 2019 wurden einem asiatischen Paar aus New York in einer Fruchtbarkeitsklinik, ebenfalls in Los Angeles, Zwillinge in Aussicht gestellt. Zwei Mädchen. Dass sie im Ultraschall aussahen wie zwei Jungen, verwunderte die Fachwelt nicht. Ein Ultraschall ist eben nur ein Ultraschall. Keineswegs eindeutig. Eindeutig waren aber die beiden Kinder, die die Asiatin später zur Welt brachte, zwei Jungen. Und die beiden waren nicht einmal miteinander genetisch verwandt. Das asiatische Paar musste die beiden Jungen an ihre jeweiligen Eltern abgeben.

Das hätte in Tschechien ganz anders ausgehen können. Dort trugen 2017 zum ersten Mal zwei Mütter vertauschte Embryonen aus. Was die Lage erschwerte: In Tschechien gilt als Mutter, wer das Kind geboren hat.

Salomo kann hier weder richterlich noch rechtlich wirklich weiterhelfen. Doch gibt es längst Literatur und Ratgeber zum Thema: „Vertauschte Keimzellen und Embryonen – Analyse reproduktionsmedizinischer Zwischenfälle: Normkontext, Rechtsfolgen, Regelungsbedarf“ heißt ein Buch von Moritz L. Jäschke aus dem Jahr 2020. Es ist Jäschkes Dissertationsschrift, in der er die Lücken in Prävention und Rechtslage durch Vorschläge und Handlungsanweisungen zu füllen versucht, so die Beschreibung bei Hugendubel. Salomonische Weisheit spricht aus dem Buchtitel zumindest nicht: Vertauschte Embryonen werden hier zu reproduktionsmedizinischen Zwischenfällen. Von Kindern aber ist auf dem Titel keine Rede.

Salomonisch hat sich aber 2014 eine Richterin in Rom versucht. Eine Laborantin hatte die Embryonen zweier Paare ähnlichen Namens verwechselt, das Unglück hatte seinen Lauf genommen, zwei Kinder waren von der genetisch „falschen“ Mutter zur Welt gebracht worden. Beide Mütter forderten die Kinder für sich. Die Richterin, wohl wissend, dass sie nur die Gesetze interpretieren kann, sprach die Kinder der Mutter zu, die sie geboren hat. Im „Stern“ wurde daraus: „ ,Falsche’ Mutter darf Zwillinge behalten“.

Sicher ist aber eines: Das lateinische Rechtssprichwort „Mater semper certa est“ (Die Mutter ist immer sicher) hat sich überlebt.

Links:
Die vertauschten Kinder, Rheinische Post 09.11.2021:
https://rp-online.de/panorama/ausland/los-angeles-embryos-vertauscht-eltern-verklagen-us-fruchtbarkeitsklinik_aid-63956717

Die asiatischen Zwillingsmädchen, die weder asiatisch, noch Mädchen, noch genetisch verwandt waren, RND, 09.07.2019:
https://www.rnd.de/panorama/embryos-vertauscht-frau-bekommt-nach-kunstlicher-befruchtung-die-zwillinge-eines-anderen-paares-UGWDORRWCHSSDA3UGBC6IJSZOE.html

Die vertauschten Embryonen, Tschechien, Radio Prag, 05.01.2017:
https://deutsch.radio.cz/schwanger-mit-einem-fremden-baby-klinik-vertauscht-embryonen-8204232

Moritz Jäschke bei Hugendubel:
https://www.hugendubel.info/detail/ISBN-9783161591822/J%C3%A4schke-Moritz-L./Vertauschte-Keimzellen-und-Embryonen

Die vertauschten Embryonen und die italienische Richterin, Der Westen, 12.08.2014:
https://www.derwesten.de/panorama/laborantin-vertauschte-embryonen-bei-kuenstlicher-befruchtung-id9694541.html

Im Stern, 10.08.2014:
https://www.stern.de/panorama/panne-bei-kuenstlicher-befruchtung--falsche--mutter-darf-zwillinge-behalten-3613430.html

Der kaukasische Kreidekreis von Brecht samt Hintergründen bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_kaukasische_Kreidekreis

Das salomonische Urteil in der Bibel, 1 Kön, 3.16, hier die Lutherbibel auf dem Bibleserver:
https://www.bibleserver.com/LUT/1.K%C3%B6nige3

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