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Fast eine Predigt - Gedanken über den Verzicht auf "externe Nahrung"

Wir müssen reden. Jetzt. Zuerst über und in Redewendungen. Das Amen in der Kirche – zum Beispiel. Einst war es sicher in der Kirche. Und noch vor zwei Jahren hätte ich sicher behaupten können, dass die außerkirchlichen Fastenpredigten so sicher wie das Amen in der Kirche nach Neujahr in den Zeitungen und allen anderen Medien zu finden sein werden. Die Sicherheit, dass uns am Jahresanfang die Aufforderung zum Fasten ungefragt ins Haus fliegt, ist geblieben, das Amen in der Kirche jedoch hat an Stimmgewalt gewaltig eingebüßt.

Nächste Redewendung: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Gut, genau genommen ist diese Redewendung einem Gedicht entnommen, das uns tröstlich von Stufe zu Stufe geleiten, gar heben will – und am Ende auch die Todesstunde mit neuem Leben füllt. Sie wissen’s schon: Hermann Hesse. Passt doch ganz gut zum Amen in der Kirche.

Doch die beiden, das Amen genauso wie die Todesstunde, wollen wir mal tunlichst links liegen lassen. Es geht nämlich um den Anfang, genauer: Um den Jahresanfang. Sollte ihm tatsächlich ein Zauber innewohnen, meist war er ja vor Corona gepaart mit Höllenlärm, hat sich dieser auch in diesem Jahr irgendwie verflüchtigt. Geblieben ist der Anfang. Und der beruht traditionell auf vielen guten Vorsätzen. Mehr Sport, weniger essen, weniger rauchen, weniger saufen. Sie erinnern sich: Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Auf jeden Fall könnten wir mithilfe eines Zauberers den Vorsätzen besser auf die Sprünge helfen.

Das mit dem Sport hat Corona ja schon mal erledigt. Zumindest dann, wenn er im Fitnessstudios hätte betrieben werden sollen. Das mit dem Essen hingegen ist nicht an Mundschutz und 1,5-Meter-Abstand gebunden. Im Gegenteil: Nicht essen lässt es sich besser allein. Auch wenn der Mundschutz hier eine Hilfe sein könnte. Den Mitmenschen brauche ich zum Fasten im Grunde nicht.

Und nun sind wir wieder bei den Zeitungen. Stellvertretend für alle anderen Medien, die das mit dem Jahresanfang und dem Zeitgeist gewiss nicht anders handhaben. Und nun heißt es hier für uns auch nicht mehr: Wir müssen reden. Nein! Wir müssen fasten! Das Zeitungsmagazin, dem ich zwar nicht vertraue, aber das mir zusammen mit meiner Tageszeitung quasi umsonst ins Haus kommt, schreibt mir auf zwei Seiten, wie das geht. (Die dritte Seite ist dann interessanten Rezepten fürs Fastenbrechen vorbehalten.)

Es geht im Grunde genommen ganz einfach: Wir sollen nämlich auf externe Nahrung verzichten. Steht da wirklich. Zur Sicherheit gleich zweimal. Die Autorin zitiert mit diesem Fachbegriff übrigens nur einen Fachmann. Das Amen spare ich mir und Ihnen an dieser Stelle zugunsten der Analyse. Die externe Nahrung setzt, sprachlich und logisch betrachtet, implizit eine interne Nahrung voraus. Und mit dieser in beschriebenem Artikel nicht explizit so benannten internen Nahrung soll ich als Leser wahrscheinlich ziemlich billig abgespeist werden: Die interne Nahrung werde ich ja gewiss bereits verinnerlicht haben. Der Autor – nein, hier wird es spätestens Zeit, korrekt zu werden: die Autorin – hatte mich zuvor auch ganz genau erinnert: die vielen weihnachtlichen Leckerbissen. Zu viel. Der ganze Dezember. Alles verinnerlicht. Da braucht es keine externe Nahrung mehr.

Vielleicht kann der Leser aber auch, um sich den unterschiedlichsten Fastenkonzepten zu stellen, die ihm im Magazin hier vorgeschlagen werden, seine Nahrungsgrundlage noch viel grundsätzlicher ändern. Geistige Nahrung soll ja auch sehr anregend sein. Und: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Auch diese Redewendung hat einen ganz tiefen Ursprung. Jesus selbst hat sie verkündet. Sein Nachsatz, der Satz mit der geistigen Nahrung, ist hingegen in jüngster Zeit ein wenig untergegangen: „sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund des Herrn geht“, lehrt er im Evangelium (Mt 4,4) weiter. Gemeint ist, salopp gesagt, die geistige Nahrung, und Jesus hat an dieser Stelle nichts weiter getan als an eine bekannte Regelung aus dem Buch Deuteronomium zu erinnern (5. Buch Moses, 8.3).

Von geistiger Nahrung aber spricht unsere Autorin heute auf den zwei Seiten des mir täglich verabreichten Magazins nicht. Wohl aber von geistigen Getränken. Denn auch auf die gilt es, allem Anfang wohnt ja ein Zauber inne, im Januar zu verzichten. Dry January heißt das auf neudeutsch. Die Wettervorhersage für diejenigen, die aufgrund der Schwierigkeiten der englischen Aussprache lieber in ihrer eigenen Sprache reden und sich wenden: Der Januar wird ganz schön trocken. Und um noch ein Stückchen mehr vom Wege abzukommen, hier eine Redewendung ziemlich altdeutscher Art: Auf trockenen, kalten Januar folgt viel Schnee im Februar, wussten schon die Bauern. Aber da habe ich Sie nun auf eine ganz falsche Fährte gelockt.

Hier geht’s zurück in die Spur: Die Fastenzeit beginnt, sofern religiös begründet, weder am 1. noch am 2. Januar. Sie beginnt für die Christen an Aschermittwoch. Das ist nach Karneval und in diesem Jahr am 2. März. Die Muslime haben noch einen Monat länger Zeit: Der Ramadan beginnt in diesem Jahr am 2. April.

Wir Christen sind, sofern rückwärtsgewandt und nach alter Regel uns richtend, eigentlich noch bis Maria Lichtmess, das ist der 2. Februar, mitten in der Weihnachtszeit. Nach neuer Regel dauerte die Weihnachtszeit immerhin bis zum Sonntag nach Dreikönige, das war in diesem Jahr der 9. Januar. Gefastet hingegen, und jetzt bin ich noch einmal bei den (ganz) alten Regeln, wurde einstens vor Weihnachten. Genauer gesagt: Auf das Weihnachtsfest hin. Und zwar die klassischen 40 Tage lang. Oder sechs Wochen.

Nun, die nächste religiös begründete Fastenzeit beginnt also am 2. März. Das Ziel heißt diesmal Ostern. Die Protestanten leiten diese Zeit gerne mit den zur Redewendung gewordenen Worten „Sechs Wochen ohne ...“ ein. Sie haben damit das Fasten in gewisser Weise so populär wie überflüssig gemacht. Denn sie haben so das Fasten auch im übertragenen Sinne er- und gefunden. Schulkinder beider christlicher Couleur wissen diesen Zeitgeist gut zu nutzen: Die klügsten von ihnen verzichten nämlich ganz darauf, auf Süßigkeiten zu verzichten. Und damit ihr Ruf nicht leidet, verzichten sie zum Beispiel stattdessen sechs Wochen lang auf Schimpfwörter. Oder auf Minecraft. Oder darauf, was sich sonst so anbietet.

Wir aber, so entnehme ich es meinem Zeitungsmagazin, verzichten auf die religiöse (und externe) Anbindung des Fastens genauso wie auf die externe Nahrung. Das Ziel dabei, oder der Gewinn, ist, ich drücke mich mal vorsichtig aus: die Reinheit und Klarheit unseres eigenen Körpers. In gewisser Weise pervertiert die säkulare Fastenzeit das eigentliche, das alte Ziel, das dem Fasten auch schon längst vor den Christen eigen war – und den meisten Religionen immer noch eigen ist. Das Fasten diente immer der Vorbereitung auf etwas (externes) Heiliges. Nun aber dient es im günstigsten Fall der Heilung, im Falle völliger Überhöhung der Heiligung des eigenen Körpers. So intrinsisch betrachtet fällt der Verzicht auf externe Nahrung dann gewiss auch leichter.

Link zum Text:

In der Papier-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers finden Sie den beschriebenen Artikel am 19.01.2022 im Magazin. Online ist er seit dem 12.01.2022 für alle die mit Abo die Bezahlschranke zu überwinden wissen:
https://www.ksta.de/ratgeber/gesundheit/verzicht-drei-wochen-ohne-alkohol-oder-feste-nahrung---was-bringt-das-dem-koerper--39371138?cb=1642590077093&

Links zum Thema:

Die Gesellschaft für deutsche Sprache nahm das Fasten sprachlich gesehen Anfang 2021 unter die Lupe. Und es kam, wie es kommen musste: Das Fasten hat viel mit dem Festhalten zu tun. Nämlich an den Fastengeboten. Und das englische Frühstück ist nicht viel mehr als ein alltägliches Fastenbrechen: breakfast. Mehr davon?
https://gfds.de/zu-ostern-hat-es-ein-ende-was-bedeutet-das-wort-fasten/

Die Erzdiözese Wien hat 2016 biblische Aussagen zum Thema Wein zusammengetragen:
https://www.erzdioezese-wien.at/site/home/nachrichten/article/53364.html

Zum Fasten gibt es übrigens deutlich weniger Redewendungen als über das Essen. Reich bebildert und erläutert hat die Deutsche Welle diese Wendungen für Kinder (und bestimmt auch für Erwachsenen) hier:
https://www.dw.com/de/redensarten-rund-ums-essen/g-44914959

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