NACHRICHTENPORTAL

Die Krönung: Von der Geburtenrate, dem Klima und der Rente - und von der sprachlichen Verwandtschaft von Männern und Viren - eine Lesegeschichte fast ohne Nachrichtenwert

Es gibt nur noch ein Thema in den Medien. Genau. Sie wissen, was ich meine. Zugleich steigt die Aufmerksamkeit der möglichen Leser unermesslich an. Gute Zeiten für den Journalismus, könnte man meinen. Doch alles, was austreibt, treibt auch schon mal seltsame bis lustige Blüten. Hier eine kleine Sammlung von Nachrichten, auf die Sie bestimmt nicht gewartet haben.

So finden Sie auf Stockstreet.de seit dem 12.03.2020 eine deutliche Zukunftsperspektive: Die Pandemie nämlich sorgt für eine steigende Geburtenrate. Beweis für diese Wahrscheinlichkeitsthese sind die Amerikaner: Wenn bei denen der Strom ausfällt, gibt’s hinterher mehr Kinder. Zwar fällt bei uns nicht der Strom aus, aber das öffentliche Leben. Also: Ab ins Bett! Das Bett selbst interessiert hier aber gar nicht: Die jetzt zu erwartende steigende Geburtenrate wird - und darauf kommt es hier an - erst die Wirtschaft und dann unser Rentensystem retten:
https://www.stockstreet.de/corona/1006719-corona-stark-steigende-geburtenraten-voraus

Auch für den Klimaschutz könnte Corona gut sein, zumindest kann man das ja mal diskutieren. Oder anders formuliert: Wie gut ist der Stillstand fürs Klima? Die Mitteldeutsche Zeitung ist mit dieser Frage nicht allein – und stellt sie am 16.03.2020. Das Fazit ist ungefähr so erkenntnisreich wie die Volksweisheit mit der Schwalbe. Die macht nämlich noch keinen Sommer, sofern sie einzeln in Erscheinung tritt.
https://www.mz-web.de/panorama/gute-nachrichten-fuer-den-klimaschutz--ist-corona-auch-eine-chance--36420240

In Brasilien haben härtere Alltagsregeln in den Gefängnissen, die zum Schutz vor dem Corona-Virus erlassen wurden, für Aufstand und Flucht gesorgt (17.03.2020). Dieser Vorgang an sich ist wenig komisch, durchaus verständlich und ganz gewiss mehr als nur ärgerlich. Komisch wird’s trotzdem noch in der Berichterstattung für die Deutschen. Illustriert wird diese Flucht mit einem Bild aus Chile. Ein Land, das nicht einmal eine Grenze mit Brasilien teilt. Aber immerhin ein Land, das die Grenzen wegen des Corona-Virus schließen wird – und am Ende des Artikels auch tatsächlich Erwähnung findet. Das Bild nun zeigt uns ein Plakat mit einer gemalten, nackten Frau in Filzstift-Rosa, deren Gesicht und Mund verhüllt sind. „Libre, valiente“ steht drauf. Frei und mutig. Im Hintergrund das Plakat zur „Matria“. Ich habe lange darüber gerätselt, was dieses Wort bedeutet. Zumal das Bild ja dem Anschein nach zum Gefängnisaufstand in Brasilien gehört. Tut’s aber nicht. Matria ist das Mutterland. Wenn man das Foto als Bild von einer Frauendemo in Chile erkennt, ist’s nämlich wieder ganz leicht. Was das mit Corona zu tun hat? Ganz im Vordergrund des Fotos trägt eine Frau einen Mundschutz. Damit Sie mich nicht für kleinkrämerisch halten, hier die Bildunterschrift zum Beweis:

„Frau mit Atemschutzmaske in Chile. Härtere Auflagen für Häftlinge wegen der Coronavirus-Pandemie haben in Brasilien zu einem Gefangenen-Aufstand geführt: Im Bundesstaat Sao Paulo sind laut brasilianischen Medienberichten hunderte Gefangene aus verschiedenen Gefängnissen geflohen.“
https://www.tah.de/welt/afp-news-single/gefangene-in-brasilien-fliehen-wegen-haerterer-corona-auflagen.html

... Hoch lebe das Mutterland!

Aber nun schleunigst zurück ins eigene Vaterland, also nach Deutschland. Das steht vor einer einmaligen Chance: Wir können und müssen jetzt und vor allem und endlich die Arbeitswelt so umgestalten, dass sie die Familien nicht auseinanderreißt. Denn immerhin sind alle Kitas und Schulen geschlossen. Und nicht jeder arbeitet systemrelevant und darf seine Kinder trotzdem in die Schule schicken. Viele gute Ideen sind also gefragt, die das Home-Office ermöglichen und am Ende aufwerten. Im Kölner Stadt-Anzeiger analysiert heute (17.03.2020) Claudia Lehnen die Lage und findet Chancen für Partnerschaften und Arbeitgeber (Seite 3, Papierausgabe). Wer sich ein KSTA+-Abo gönnen möchte, kann den ganzen Artikel aber auch im Internet lesen:
https://www.ksta.de/koeln/arbeit-ohne-ende-eltern-im-homeoffice-an-der-belastungsgrenze-36422290

Auch die „ZEIT“ ist ganz vorn dabei, wenn es gilt, das Vaterland zu verändern. Vielleicht wird daraus dann ja endlich das nicht nur in Chile ersehnte Mutterland: Luisa Jacobs lotet am 16.03.2020 die deutsche Arbeitskultur aus. Wobei Frau Jacobs fürs Erste nicht mal aufs Mutterland setzt, sondern darauf, dass sich die Chefs in Zeiten des Virus daran gewöhnen, ein bisschen die Kontrolle zu verlieren.
https://www.zeit.de/arbeit/2020-03/coronavirus-folgen-homeoffice-vorgesetzte-arbeitsbedingungen

Wenn ich jetzt das Mutterland mit dem Kontrollverlust gleichsetze, werde ich bestimmt abgestraft. Irgendwo ist ja auch Schluss mit den unseligen Verknüpfungen. Aber eines kann ich noch ganz sicher verkünden: Im Mutterland der Zukunft wird die Kontrolle auf gar keinen Fall verloren sein ..., selbst wenn die Männer (viri) in Zeiten der Krone (corona) die Kontrolle tatsächlich ein Stück weit dem Vīrus überlassen sollten.

Was das Vīrus dann dort noch treibt, weiß ich allerdings auch nicht mehr. Das Lateinische bezeichnet mit diesem Wort den Gestank, Schleim, Geifer, Sabber, salzigen Geschmack und widrigen Geruch. Mit dem Mann an und für sich hat das Vīrus also nur wenig am Hut. Sie teilen sich das Wort auch nur fast. Allen, die sich – wie ich – immer schon gewundert haben, warum das Vīrus gern mal im Deutschen ein Neutrum ist, sei’s hier gesagt: Die Römer haben damit angefangen. Das Vīrus ist im Lateinischen ganz eindeutig männlich dekliniert – aber trotzdem ein Neutrum. Wahrscheinlich um die Ähnlichkeit zum Mann zu kaschieren. Der einzige Unterschied zwischen Mann (vir, virī, viro, virum, viro) und Vīrus ist das lange ī: vīr vīrī vīro vīrum, vīro – und das Geschlecht. Wenn’s stinkt, ist’s also ein Neutrum mit langem ī.

Und wozu dieser elendigliche Ausflug ins Lateinische? Ich sag’s Ihnen: Sie werden mir dankbar sein, wenn Sie jetzt oder morgen zuhause im Wohnzimmer im sogenannten Home-Office sitzen und das Kind im Kinderzimmer nebenan in der digitalen Homeschool lateinische Vokabeln paukt und anschließend klagend durch die Wohnung rennt. Dann nämlich ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sie nicht nur als Mann mit Sprach- und Grammatikkenntnis zum Vīrus punkten können.

17-jähriger Amerikaner stellt weltweit die aktuell...
Algorithmen in der Medizin - Hintergrundbericht im...

Ähnliche Beiträge

 

Kommentare

Derzeit gibt es keine Kommentare. Schreibe den ersten Kommentar!
Bereits registriert? Hier einloggen
Gäste
Freitag, 26. April 2024

KBV Praxisnachrichten

PraxisNachrichten

Robert-Koch-Institut

Dies ist der RSS Feed des Robert Koch-Instituts zum Epidemiologisches Bulletin.

Neueste Kommentare

Mechthild Eissing Angriffe auf Daten im Krankenhaus - die neuesten Fälle
05. März 2024
Beim Hackerangriff auf die Klinik in Lippstadt sind nicht nur Daten verschlüsselt worden, sondern au...
Mechthild Eissing Dengue-Fieber - Notstand in Peru
01. März 2024
Auch in Brasilien, ZEIT online, 01.03.2024: https://www.zeit.de/news/2024-03/01/rasanter-anstieg-bei...
Mechthild Eissing Auf den Hund gekommen - Tierisches und Therapeutisches aus Krankenhäusern
20. Februar 2024
Auch Therapiehund Ide ist im Krankenhaus im Einsatz. Der NDR berichtet am 19.02.2024: https://www.nd...

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.