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Wie man sich bettet - Göttliches und Hygienisches zum Thema Schlaf

Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen – und Sie finden dennoch keinen Schlaf? Nach einer genügenden Anzahl schlafloser Nächte informieren Sie sich und suchen im Internet nach Tipps. Die gibt es reichlich – und sie firmieren unter dem Substantiv „Schlafhygiene“.
Als aufmerksamer Leser und Sucher nehmen Sie sich diesen oder jenen Ratschlag, der genau auf Ihr Leben und Ihre Lage passt, zu Herzen oder gleich am nächsten Abend mit ins Bett.

Aber Stopp! Wie viel Hygiene tut fürs Schlafen denn wirklich not? Sicher: Ordnung ist das halbe Leben – und wenn nachts das Schlafzimmer ordentlich ist, so sagen es die Prediger der Schlafhygiene, ist die andere Hälfte, nämlich der Schlaf, viel leichter in Ordnung zu bringen.
Aber Hygiene – ist das nicht ein Wort, das schon von Weitem nach Desinfektionsspray riecht? Nach klinischer Sauberkeit? Auf jeden Fall ist es ein Wort fernab alles Weichen, Wollenen oder Kuscheligen. Und mit Gemütlichkeit würde sie auch niemand assoziieren. Ruhe? Ja, vielleicht, aber sehr sterile Ruhe. Seelenruhe? Nein, gewiss nicht.

Wer also ist auf die Idee gekommen, uns guten Schlaf unter dem Zeichen der Hygiene zu predigen? Oder noch weiter zurück: Wer oder was ist denn Hygiene überhaupt?

Wikipedia informiert uns – und gendert dabei korrekt, was vielleicht auch eine Form von Hygiene ist: „Hygieia oder Hygeia (altgriechisch Ὑγίεια Hygíeia oder Ὑγεία Hygeía – als personifizierte „Gesundheit“) ist in der griechischen Mythologie eine wohl zunächst unabhängige athenische Heilgottheit.“ Diese „Heilgottheit“, das möchte ich hier gerne ausdrücklich betonen, ist eine Frau. (Die Griechen konnten sie aber scheinbar nicht ohne männlichen Beistand im Götterhimmel wirken lassen, und so gesellten sie ihr mal Asklepios als Vater, mal als Ehemann zur Seite. Oder Hermes als Ehemann.)
Große Hoffnungen setzten die Griechen in diese Göttin: Sie sollte den Kranken, die aus therapeutischen Gründen im Tempel schliefen, im Schlaf Heilung bringen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hygieia

Tatsächlich ist also Hygieia für den Schlaf zuständig. Und eigentlich gibt es an ihr nichts auszusetzen: Sie tritt auf als hübsche Gottheit – meist mit der Schlange, die wir von Asklepios kennen. Oder mit einem Füllhorn voller Früchte. Und ganz gewiss ohne Desinfektionsspray.
Aber als diese Göttin dann als „Schlafhygiene“ in den deutschen Sprachschatz kam, war schon einiges schiefgelaufen: In Stuttgart hatte am 23.05.1914 der Jungdeutschlandbund getagt. Thema: Jugendwanderungen und Jugendherbergen. Der „Rheinisch-Westfälischer zugleich Essener Stadt-Anzeiger“ berichtet einen Tag später: „Es kam zum Ausdruck, daß bei den Jungdeutschlandbestrebungen Körperhärtungen und Marschhygiene, Wohn- und Schlafhygiene mehr als bisher behandelt werden sollten.“
https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/12529349

Wetten, dass Sie nach diesem Satz auch nicht mehr gut schlafen können? Garantiert haben auch Sie jetzt, sofern Sie ein gewisses Alter erreicht haben, den Geruch von Pfefferminz- oder Hagebuttentee in der Nase – und anschließend den wollenen Geruch der Jugendherbergsüberdecken. Ja, da konnte man die Schlafhygiene tatsächlich riechen.
Neu war das Wort aber schon damals nicht: eine russische Ärztin, Marie de Manacaine, schrieb schon 1897 über den Schlaf – im Sinne der Sauberkeit, über die ich gerade Klage führen will:
https://www.sleepstation.org.uk/articles/sleep-basics/sleep-hygiene/?utm_source=chatgpt.com
https://en.wikipedia.org/wiki/Maria_Manaseina

Aber die Lage besserte sich bald. Und schon in 1926 gibt es im Düsseldorfer Stadt-Anzeiger den Ratschlag: „Die Schlaflage soll eine möglichst ebene sein; für gesunde Menschen ist ein Kopfkissen, das den Kopf um sechs bis sieben Zentimeter höher lagert, gerade zweckmäßig. Bei hohen Kopfkissen wird der Kopf zu sehr gegen die Brust gedrängt, wodurch Herz und Lunge in ihrer Tätigkeit erheblich beeinträchtigt werden.“
https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/10773592

Kurz: Die Schlafhygiene ist also mindestens 100 Jahre alt. Noch älter ist der Sandmann. Als der Mann, der den Kindern Sand in die Augen streut, damit sie schlafen können, ist er schon vor 1800 bekannt. Zum Männchen wird er in den 1850er-Jahren. Und zumindest in der Literatur ist sein Auftreten zwiespältig. E.T.A. Hoffmann hat den Schrecken, der auch von ihm ausgehen kann, so wunderbar beschrieben, dass man allein schon deshalb nicht schlafen kann, weil man die Novelle erst noch zu Ende lesen muss.
Aber der Sandmann ist ja nichts weiter als eine Kopie. Sein Ursprung: Morpheus, der Sohn des Schlafgottes Hypnos. Seine Schlafkörner sind ausgesprochen wirkungsvoll: Schlafmohn.
Das alles – und noch viel mehr – ist zu lesen bei Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sandmann
https://de.wikipedia.org/wiki/Morpheus

Fazit: Schlaf ist etwas Göttliches und die Griechen gaben ihn gleich in die Hände mehrerer Götter: Morpheus, Hypnos und Hygieia.
Wir können also vermuten, dass schon die alten Griechen Probleme mit der Schlafhygiene hatten. Aber immerhin: von klinischer Sauberkeit ist in ihren Mythen noch nichts zu lesen.

PS: Offenbar hat die Göttin der Hygiene es mir ganz besonders angetan. Hier war sie schon einmal Thema: 
https://nachrichten.mednet.de/index.php/kleine-alltags-goettelei

Bildhinweis: Hygieia. Römische Kopie einer griechischen Statue aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Foto: Sailko
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3b/Hygea%2C_copia_romana_da_originale_greco_del_III_sec._ac.JPG

 

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