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Wer spuckt denn da - oder spukt da wer? Jens Spahn und das politische (Medien-)Klima

„Jens Spahn bei Auftritt bespuckt und bepöbelt“, titelt die Rheinische Post am 31.08.2020. Andere Medien titeln ähnlich. Liest man mehrere dieser Nachrichten, schwindet jedoch die Klarheit. Klar ist: Bei einem Auftritt in Bergisch Gladbach wurde Jens Spahn beleidigt und beschimpft. So dass er das Gespräch abgebrochen hat. Die „Welt“ spricht am  01.09.2020 davon, dass Spahn „beschimpft“ und „angefeindet“ wurde, das Ministerium habe verlauten lassen, er wurde „bespuckt“ (alle Links am Textende).

Der Kölner „Express“ berichtet offenbar zuerst (31.08.2020), nennt Augenzeugen, die den Vorgang gesehen haben sollen und sichert sich nachrichtlich dennoch zur anderen Seite hin ab: „Dass Jens Spahn bespuckt wurde, bestätigte die Polizei nicht.“ (Derselbe Satz findet sich so auch in der Papier-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers am 01.09.2020).

Die Pressemitteilung der Polizei Bergisch Gladbacher Kreis formuliert den in Frage stehenden Vorgang so: „Aktuell liegen der Polizei keine Erkenntnisse vor, dass Herr Spahn bespuckt worden ist.“ Die ZEIT hat sogar mit der Kölner Polizei telefoniert. Danach habe die Polizei Strafanzeige wegen Beleidigung des Ministers gestellt. Zwei Polizisten könnten das bezeugen.

Vorab: Pöbeln, beleidigen und spucken tut man nicht. Die meisten wissen das auch. Und dann gibt es den Eifer und das Gefecht, die Wahrnehmung und Ausübung manchmal durcheinandergeraten lassen. Manchmal ist es auch die Schnelligket der Ereignisse, die die Wahrnehmung schwierig macht. Erstaunlich: Jens Spahn selbst sagt überhaupt nicht, dass er bespuckt wurde. Er sagt lediglich zum Thema Diskussionen in der Politik (zitiert nach der Rheinischen Post): „Sie funktionieren aber nur, wenn beide Seiten bereit sind, zuzuhören. Aber wenn geschrien, gespuckt und gepöbelt wird, geht‘s halt leider nicht.“ Ist also eher eine (richtige) Grundsatzerklärung als eine Ereignisschilderung. Dennoch lässt sich die Ereignis-Berichterstattung fortsetzen: Die Rheinische Post berichtet heute, 01.09.2020 aus Bottrop. Auch dort gab’s Schimpfe für den Bundesgesundheitsminister (Artikel im Abo, erster Monat 99 Cent).

Ganz offensichtlich aber ist: Die Frage, ob der Beschuldigte in Bergisch-Gladbach nun gespuckt hat oder nicht, ist nicht eindeutig zu beantworten. Wohl deswegen hat die Rheinische Post eigens eine Pressemitteilung eingestellt, die erklärt, dass Spahn erklärt, er sei bespuckt worden. Unglücklich daran ist nur: Spahn sagt dort denselben demokratischen Grundsatz wie oben. Keinesfalls findet sich in dem Text die Erklärung, dass er realiter bespuckt wurde.

Nähern wir uns der Frage des Spuckens von ganz anderer Seite: Im Internet und auf Youtube kreisen seit Beginn der Corona-Krise Meldungen, wonach junge Menschen gerne ältere Menschen anspucken, um Angst und Schrecken vor Corona zu verbreiten. Immer als Fallbeschreibung. Ganz vorn bei den Berichterstattern: T-online. Da scheint es ein Volkssport geworden zu sein, beliebige Menschen nahezu ohne Grund anszuspucken. Einfach so. Weil’s so schön ist. Und weil Corona. Oder aber – und diese Nachrichten sind vielleicht glaubhafter – das feierwütige Volk, das Abstand und Maske längst versoffen hat, wendet sich spuckend und speiend gegen die ordnungshütende Polizei. Das sind Nachrichten wie geschaffen für’s Boulevard.

Aber ein angespuckter Minister in Zeiten von Corona? Und noch dazu der Gesundheitsminister selbst – das hat uns tatsächlich nachrichtlich noch gefehlt. Denn das Virus hat der Spucke eine zusätzliche Qualität verliehen. In London soll sogar eine Frau gestorben sein, nachdem sie angespuckt wurde. Und ob das ein Tötungsvorsatz ist, wird schon am 19.05.2020 auf Jura online diskutiert.

Doch gibt es noch Medien, die die Nachrichtenlage bezüglich des bespuckten Ministers ebenfalls für flach halten: Die Kreiszeitung, heimisch in Niedersachsen, berichtet peinlich genau mit Quellenangaben – und hat auch klar, dass die einzige wirkliche Quelle für den Tathergang die pauschal benannten Augenzeugen des Kölner Express sind.

 

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