Gib dem forsch sein ende - Oder: Sprachlicher Umstand, zweite Abhandlung
Hilfe!
Jetzt sterben auch die Forscher aus! Und folgen damit den Studenten. Die sind ja schon seit Jahrenden ersetzt durch die Studierenden. Studenten im eigentlichen Wortsinne gibt’s ja nicht mehr – vielleicht leben sie noch irgendwo im Exil und nehmen dort auch bereitwillig die Forscher auf. Nein, die Studenten müssten sich bekennen. Und zwar zum Geschlecht. Das tun sie nicht mehr. Und wenn ich neulich noch vermutet habe, sie tun das deswegen nicht, weil Nachrichtensprecher immer noch keinen Schrägstrich/*innen sprechen wollen oder können, so ist das vermutlich auch wieder nur die halbe Wahrheit.
Tatsächlich lösen die Studierenden das Problem des sprachlichen Umgangs mit dem dritten Geschlecht ganz hervorragend. Wo Männlein und Weiblein nicht Farbe bekennen müssen, kann das dritte Geschlecht gar nicht erst sprachlich ausgegrenzt werden.
In dieses Reich der Geschlechterfreiheit folgen den Studierenden nun die Forschenden. Die Forscher, wie gesagt, sterben aus.
Wer will sich denn bei einer solch glatten Lösung noch darüber aufregen, dass der Forschende seinen Namen eigentlich nur verdient, wenn er gerade mit dem Forschen beschäftigt ist? Wer will denn jetzt noch darüber lästern, dass der Studierende – so ein Ärger: der Singular spaltet die Gruppe schon wieder in Männlein und Weiblein auf – auf Grund seines gerundierenden Namens nun nicht mehr in der (Studenten-)Kneipe gefunden werden kann?
Nein, ich ordne mich ein und preise die Entdeckung des Gerundiums. Zum Beispiel so:
Während die Autofahrenden an der roten Ampel warten, dürfen die Fußgehenden und die Radfahrenden, die ihr Fahrrad schieben, die Straße queren. Auch die Rollstuhlfahrenden schließen sich ihnen an. Wird die Fußgehenden-Ampel wieder rot, werden die Gehenden zu Wartenden oder zu Stehenden. So zählen sie weiterhin zu den Lebenden, sofern sie zu den Sehenden gehören. Die Blinden – nein, die Blindenden ist eine ganz und gar unmögliche Wortschöpfung – hingegen gehören meistens zu den Wartenden, da das akustische Signal der Ampel-Anlagen aus technischen Gründen zu den ausbleibenden Ereignissen gehört.
Mühe hingegen machen die endenden Wortsilbenden den Schreibenden. Später dann den Lesenden.
Aber man kann das Spiel noch weitertreiben: Verwalter werden zu Verwaltenden, Gestalter zu Gestaltenden, Alte zu Alternden, Sprecher zu Sprechenden, Leiter zu Leitenden, Lieber zu Liebenden, Leber zu Lebenden, Weser zu Wesenden ...
Alles in allem: Die des Gerundiums Spottenden gehören längst zu den Alternden. Es war im Jahr 2006, als im Deutschlandfunk die Kölner Lingustin Claudia Riehl zum Begriff „Studierende“ Stellung nahm:
„Ich denke, das ist wirklich eine Sache der Konvention. Und so unschön das auch klingen mag: Ich denke, so in 10, 20 Jahren ist das dann der gängige Begriff und keiner wird sich mehr dran stoßen. Das ist einfach eine Sache des Sprachwandels.“
https://www.deutschlandfunk.de/liebe-studierenden-studentinnen-und-studenten-und-student.680.de.html?dram:article_id=35470
Der Deutschlandfunk jedenfalls gehört zu den sich Wandelnden, hat sich 13 Jahre später der Konvention gefügt und meldet: Forschende haben herausgefunden, dass der Neandertaler beim Aussterben einfach nur Pech gehabt hat. Der Homo sapiens jedenfalls hat ihn nicht verdrängt, schuld waren Populationsschwankungen. Und solche Dinge wie mangelnde genetische Fitness durch Inzucht:
https://www.deutschlandfunk.de/erforscht-entdeckt-entwickelt-meldungen-aus-der-wissenschaft.676.de.html?dram:article_id=464520
Übrig bleibt am Ende die Frage, was das Gerundium mit Inzucht zu tun hat – und ob die Forschenden nicht einfach nur sprachliches Pech hatten. Und die Hoffnung? Gehört zu den Bleibenden.
Wer sich statt dieses Unfugs mit den grundlegenden Koordinaten der Sprachrichtenden befassen will:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtergerechte_Sprache
Wer das Vergnügen weiter betreiben will, dem sei eine Tabelle an die Hand gegeben, in der alle Komposita mit den Worten Studierende und Studenten aufgelistet werden, in der Reihenfolge, wie der Duden sie benennt. Sehr nützlich für Sprachgeschichtler:
https://www.duden.de/suchen/dudenonline/studenten |
https://www.duden.de/suchen/dudenonline/studierende |
Sie sehen: Die Studenten haben nicht nur mehr Vergangenheit, sondern auch deutlich mehr Gegenwart. Die Studierenden hingegen dürfen sich kaum mit Blumen schmücken, in die Kneipe gehen, Nüsse futtern oder unruhig sein. Schon gar nicht revoltieren oder sich bewegen. Sie können sich lediglich vertreten, sich ausweisen oder wohnen. Aber kein Zweifel: Bis zur Studierendenehe ist der Weg bestimmt nicht mehr weit.
Die Forschenden hingegen gibt’s zwar schon im Deutschlandfunk und zwar nicht nur, wenn sie sich dem aussterbenden Neandertaler widmen. Aber der Duden schweigt sich zu ihnen ganz aus. Noch.
PS: Ich geb's zu: die Studierenden sind eines meiner Lieblingsthemen:
Kleine Abhandlung über Männerquote und Berufung
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