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Aufsuchen oder heimsuchen? Impfungen auf Partymeilen und in Kirchen

Auf dem Weg von mehr als 40 hin zu mindestens 85 hat sich das Tempo deutlich verlangsamt. Die Rede ist von den Impfquoten in Deutschland. Die Bremsen auf einer Reise, die erst langsam ins Rollen kam und  spät an Fahrt gewann, sind: Sommerferien, Corona-Pause – und dann kam das Kreuz mit der Kreuzimpfung.

Dabei könnte alles so schön sein, es herrscht ja jetzt gar kein Impfstoffmangel mehr. Im Gegenteil, denn Astrazeneca hütet dann wohl den Laden und sorgt auch so für Überfluss.

Die nicht ganz neue Antwort auf die nachlassende Impfbegeisterung heißt: aufsuchendes Impfen. Nachdem in vielen großen Städten in den Vierteln, in denen viele ärmere, man sagt jetzt wohl sozial schwache, Menschen wohnen, aufsuchende oder auch niedrigschwellige Impfangebote gemacht wurden, geht’s jetzt zum Angebot für Jedermann.

In Köln sucht man diesen Jedermann sehr zentral: „Köln impft vor dem Dom“, so die Überschrift heute, 09.07.2021 in der Papierausgabe des Kölner Stadt-Anzeiger. Online – und öffentlich – gibt’s die Infos zu dieser aufsuchenden Impfung vom 16. bis 18. Juli hier (08.07.2021, nicht vollständig identisch mit dem Artikel der Papierausgabe heute):
https://www.ksta.de/koeln/corona-grosse-impfaktion-fuer-alle-koelnerinnen-und-koelner-am-dom-geplant-38892428?cb=1625815739900

Aufgesucht werden sollen die Menschen aber nicht nur am Kölner Dom. Wenn’s nach dem Landesgesundheitsministerium NRW geht, sollte es nun auch bald niedrigschwellige Impfangebote auf den Partymeilen geben können. (Kölner Stadt-Anzeiger, 07.07.2021):
https://www.ksta.de/politik/-impfstoff-wurde-verbrannt--kassenaerzte-kritisieren-stiko-fuer-ausgeloestes--tohuwabohu--38888026

Auslöser fürs Aufsuchen der Partymeile war wohl, so scheint es, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter. Die Folgen, die sein Vorschlag in den sozialen Medien zeitigte, sind genauso komisch wie der Vorschlag selbst. Die Mopo hat sich das Vergnügen gemacht und sich mit diesen zwitschernden Folgen nachrichtlich herumgeschlagen. (07.07.2021)
https://www.mopo.de/news/panorama/lauterbach-schlaegt-impfungen-an-partymeilen-vor-und-das-netz-flippt-aus/

Ungeklärt – und vor allem offenbar noch gar nicht an-, aus- oder durchdiskutiert: Empfehlen dann die aufsuchenden Impfteam-Mitarbeiter dem Impfling auf der Partymeile sich nach vollzogener Impfung des Alkohols zu enthalten? Denn nichts Genaues weiß man ja gar nicht über die Kreuzwirkung von Corona-Impfstoffen und Alkohol.

Der Besuch auf der Partymeile ist noch lange nicht das Ende der Liste aktionistischer Vorschläge. Die USA gingen voran, das wirkliche Schlüsselwort heißt nämlich nicht aufsuchen, es heißt auch nicht niedrigschwellig, es heißt Anreize: Man muss, so die Lehre, Anreize schaffen für die Menschen, die noch unentschlossen sind. Die Tagesschau diskutiert das sehr konkret: Forscher, so weiß sie, gehen davon aus, dass es mindestens 50 Euro sein müssten. Oder ein Gutschein, oder oder. Alles eine Frage der Zielgruppe.

Tagesschau, 08.07.2021:
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/impfanreize-101.html

Merken Sie was: Die Soziologen haben das Steuer übernommen und rudern mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln quer durch die Untiefen der Pädagogik: Das Menschenbild dahinter ist klassisch und irgendwie auch ein wenig beleidigend. Mit Speck fängt man Mäuse. Mit 50 Euro Menschen. Und in der Partymeile kriegen die jungen Leute, die endlich wieder auf die Straße dürfen, wenn’s gut kommt  demnächst aufsuchend 50 Euro für ihre Impfung. Das Geld können sie dann gleich auf der Straße/Partymeile sinnvoll anlegen. Auch ohne Studie über die Kreuzwirkung mit Alkohol.

Für den Pawlowschen Hund reichte am Ende des Trainings ein Glockenton – auch ohne Futter. Vielleicht lässt sich so sparen: Die ersten 50 Impflinge kriegen 50 Euro, die nächsten tun's vielleicht auch nur fürs Glöckchen. Der Pawlowsche Hund lieferte übrigens noch ein anderes Forschungsergebnis: Injiziert man ihm Morphium, übergibt er sich. Injiziert man ihm oft genug Morphium, übergibt er sich auch, wenn man ihm am Ende nur eine Kochsalzlösung spritzt. Die ihm vorher nicht das Mindeste ausgemacht hätte.

Der Vorschlag, auf der Partymeile die Jugend jetzt mit Kochsalzlösung zu impfen, damit sie sich übergibt, bevor sie Alkohol getrunken hat, ist jetzt aber völlig abstrus und nur von mir. Und auch die Brücke vom Aufsuchen zur Heimsuchung kriege ich nur geschlagen, wenn ich alle Sinnzusammenhänge völlig außer Acht lasse. Die Heimsuchung ist nämlich ein Schicksalsschlag, der als Prüfung oder Strafe von Gott verstanden wird, so der Duden.
https://www.duden.de/rechtschreibung/Heimsuchung

Weder aufsuchend noch heimsuchend, hat der Neurologe Magnus Heier, auch als Wissenschaftsjournalist medizinisch im Magazin des Kölner Stadt-Anzeiger unterwegs, schon im Mai eine Lösung fürs Impfen im großen Stil gefunden, die – und das ist meine Brücke – hin zu Gott führt, der ja ungern noch als strafender gepredigt wird: Impfen in der Kirche. Andere Länder hatten es vorgemacht, die Kölner hatten schon in der Moschee geimpft – und der Neurologe Markus Heier im Mai in St. Antonius in Castrop-Rauxel. Die Kirche liegt nämlich nicht nur unweit seiner Praxis, es gibt dort, so seine Argumentation, genug Platz und genug Luft. Auch der heilige Antonius scheint die rechte Wahl zu sein: Er hilft nicht nur beim Finden verlorener Dinge, sondern wird auch angerufen bei Pest, Fieber und dem Wirken teuflischer Mächte. Wir sind also bei: Doppelt gemoppelt hält besser. Nach der Impfung noch eine flehentliche Bitte an den Heiligen ... Platz genug ist ja in der Kirche.

(Die Legende um den Heiligen ist deutlich umfangreicher und interessanter, als seine Verkürzung auf die Rolle des heiligen Wiederfinders es ahnen lässt:
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienA/Antonius_von_Padua.html)

Das Domradio Köln berichtete umfangreich am 17.05.2021 über Impfungen in Kirchen, auch in anderen Ländern, die, so Magnus Heier, naheliegend sind:
https://www.domradio.de/themen/corona/2021-05-17/der-piks-im-seitenschiff-mediziner-wirbt-fuer-impfen-der-kirche

Wie’s de facto in Castrop-Rauxel vonstatten ging, können Sie auch sehen. Das ARD-Magazin Brisant berichtete am 20.05.2021 hier:
https://www.facebook.com/brisant/videos/impfen-in-der-kirche/1307698746291132/

Vielleicht hat Magnus Heier ja recht. Auf alle Fälle ist sein Angebot weder niederschwellig, noch aufsuchend. Pädagogisch ist es auch nicht. Es ist ein Angebot, das die Umstände und die Gelegenheiten zusammenführt - und das nicht subtil an der Freiwilligkeit der Impfkandidaten dreht.

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