Kaffee statt Branntwein - Geschichtliche Einblicke
Wenn das keine Nachricht ist: „Nach Jahren ohne Kaffee und Kuchen: Bald eröffnet die Krankenhaus-Cafeteria“, titelt die Schwäbische am 22.01.2025:
https://www.schwaebische.de/regional/sigmaringen/sigmaringen/nach-jahren-ohne-kaffee-und-kuchen-bald-eroeffnet-die-krankenhaus-cafeteria-3258352
Ganz klein darüber eine Dachzeile: „Großer Festakt“.
Wenn das keine Nachricht ist, oder? Ganz ohne Ironie. Es ist eine Nachricht. Denn, daran lässt der Autor keinen Zweifel, es fehlte im Krankenhaus nicht nur der Kaffee, es fehlte auch der Ort zum Verweilen. Die Sigmaringer Zeitung berichtete fortlaufend.
Die ganze Wahrheit aber ist viel tiefgreifender als die Nachricht über einen Festakt fürs Krankenhauscafé es sein kann: Kaffee und Kuchen sind nämlich deutsches Kulturgut. Laura Riedner weiß darüber mehr. Sie studiert Journalistik und macht ihr Pflichtpraktikum in der Online-Redaktion des Goethe-Institutes in München. Ihr Artikel über Kaffee und Kuchen huldigt dem Kaffee und seiner Kultur, ist ganz bestimmt nett, Pflichtlektüre jedoch keinesfalls – denn die Autorin schreitet mit Siebenmeilenstiefeln durch die Zeit; beginnend in einem Kaffeehaus in Bremen im 17. Jahrhundert. Und schon zwei Sätze weiter verweilt die Autorin in den 1950er-Jahren. Schade. Denn es gibt viele schöne und längst vergangene Geschichte(n) aus deutscher Kultur – nicht nur aus Bremens Kaffeehaus.
https://www.goethe.de/prj/ger/de/wow/25859831.html
1778 zum Beispiel. Im Lippischen Intelligenzblatt kämpft im April an vorderster Front und auf den ersten Seiten der Regierende Graf und Edle Herr zu Lippe, Simon August, persönlich und gesetzlich gegen den Kaffeekonsum seiner Untertanen.
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/5296661
Allein eine halbe Zeitungsspalte braucht die Aufzählung der Datumsangaben, an denen der Graf seinen Untertanen den Kaffee längst verboten hat. Aber: Die Kaufleute in den Städten – die nehmen darauf keine Rücksicht. Im Gegenteil. Nun wird der Kaffee „wieder frey und ungestöhrt getrunken, und sogar vom Gesinde und den Tagelöhnern als eine erlaubte Sache ja selbst als Schuldigkeit gefordert“.
Wer jetzt denkt, der Graf habe nur das Wohl seiner Untertanen im Sinn, wird dann darauf verwiesen, dass er, der Untertan, doch „andere Getränke und Stärkungsmittel hat, die seiner Lebensart angemessener sind und gegen die der Gebrauch des Kaffees seiner Gesundheit schädlich ist“.
Tatsächlich aber geht des dem Grafen um mehr als nur die Gesundheit des Untertans. „… dabey gehen durch die Allgemeinheit dieses Kaffeegebrauchs große Summen Geldes außer Landes, Brau- und Brennereynahrung werden dadurch geschwächet und hierdurch verlieret auch wieder der Ackerbau; da das Korn nicht so häufig, wie es sonst geschieht, verbraucht wird.“
Auf Hochdeutsch: Der Ackerbau – und damit die Landwirtschaft – leidet, weil der Untertan statt Bier und Schnaps nun Kaffee trinkt, der aber importiert werden muss. Sein Fazit und seine eindringliche Mahnung: Kein gemeiner Untertan, vom Meyer bis zum geringsten Einlieger, darf Kaffee trinken. Wohl aber darf dem Kaffee huldigen, wer ein echter Amts-Meyer ist. Es drohen den anderen als Strafe: fünf Goldgulden und der Verlust des Kaffeegeschirrs. Ebenso in den Städten – und wer die Goldgulden nicht zahlen kann, auf den wartet das Gefängnis, Wiederholungstäter erhalten Leib- oder Pfahlstrafen.
Doch der Graf kennt auch seine Denunzianten: Sollte bei jemanden nur ein Kaffeegeschirr gefunden worden sein, ohne dass daraus im Moment der Entdeckung auch Kaffee getrunken worden wäre, rechtfertigt das keinerlei Bestrafung.
Friedrich der Große setzte in der gleichen Zeit sogenannte Kaffeeschnüffler ein, die Schmuggelware und illegalen Röstereien auf die Spur kommen sollten. Es ging um mehr als Kaffee. Es ging ums Geld. Und das sollte im Lande bleiben.
Keine 70 Jahre später hatte sich in deutschen Landen die Einstellung zu Kaffee und Branntwein offenbar gründlich geändert. Die Düsseldorfer Zeitung druckt am 11.08.1844 die Nachricht aus Hamburg, dass die Krankenwärter nun statt den bisher gereichten Branntwein-Rationen ein entsprechendes Quantum an Kaffee und Zucker zu geben ist. Zugleich wird den Arbeitern auf dem Bau das Holen und Trinken von Branntwein während der Arbeit verboten – bei Strafe der sofortigen Entlassung.
https://zeitpunkt.nrw/ulbd/periodical/zoom/9017365
Gleichzeitig ist aber längst klargeworden, dass eine andere, sehr viel größere Gefahr vom Kaffee ausgeht. „Wißt ihr, was ein Kaffeekränzchen ist?“, fragt das Wochenblatt für den Kreis Altena am 24.12.1842 – also am Heiligen Abend – seine Leser.
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/11999970
Und gibt gleich selbst die richtige Antwort: „Das sind jene nachmittäglichen Frauenversammlungen, wo bei einem Schälchen Kaffee ehrlichen Leuten das Genick gebrochen, wo kein Ruf unangetastet bleibt, wo Alles verrathen wird, Freund und Feind, Vater, Sohn und Heiliger Geist!“ Und weiter: „Da wird Gericht gehalten über die Männer und verfehmt, was sich mit Wort und Tat widersetzt, Haus für Haus wird vorgenommen und Alles – Alles wird zerhackt.“
Wer noch immer keine Vorstellung davon hat, wie ein solches Kaffeekränzchen aussieht: „Und rechts und links und hinten und vorn stehen Berge von Torten und Kuchen und feinem Backwerk und jeden Augenblick präsentiert sich die freundliche Wirthin und bittet und fleht und mordet langsam mit Kaffee und Kuchen.“
Am Ende – und der Text braucht noch einige Sätze um zu diesem Ende zu gelangen – weiß der Autor, dass der Hausherr nach diesem Nachmittag finanziell darniederliegt und es wohl die nächsten Tage nur noch Arme Ritter geben wird.
Namentlich bekannt gibt sich der Autor nicht, die Vermutung, dass die freundliche Wirthin seine eigene Frau war, wird nicht ganz falsch sein. Denn zwei Jahre später (08.06.1844) wendet sich ein Leser, der sich hier Nikodemus Blaustrumpf nennt, an dasselbe Wochenblatt mit der Bitte um Hilfe. 100 Thaler als Preis für Mediziner und Doktoren, die die Antwort kennen auf die Frage, wie die Frauen vom Kaffee abzuhalten seien. Die Ursache für diese Frage ist sehr privat:
„Ich habe eine Frau, die keinem Menschen, auch wenn sie das Böseste von ihm wüßte, das Geringste nachreden würde. Aber sobald sie mit den anderen Frau Basen am Kaffeetisch sitzt, und sie die dritte Tasse getrunken hat, ist sie wie alle anderen und ihr Zünglein plappert und klappert mit den anderen um die Wette. Ist der Rausch vorbei, so ist sie wieder so fromm, wie am ersten Tag der Hochzeit.“
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/12000611
Zur Ehrenrettung des Kaffees muss allerdings gesagt werden, dass Nikodemus Blaustrumpf in besagtem Wochenblatt schon Jahre zuvor sich gegen Tee trinkende Frauen gewandt hatte – mit ungefähr denselben Vorwürfen. Allerdings nicht unwidersprochen. Es war am 27.01.1841, als eine Frau, sich Petronella Pappelpieps nennend, ihm reichlich Contra gab.
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/zoom/2387174
Was bleibt als Erkenntnis? Kaffee und Kuchen können Männern Angst machen, wenn sie von Frauen eingenommen werden – und im 19. Jahrhundert gingen die Leser in Wochenblättern und Tageszeitungen Tätigkeiten nach, die den heutigen Formen der Auseinandersetzung in social media und anderen Foren nicht unähnlich waren.
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