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Die Rache des Gerundivums oder die Toten auf dem Fahrrad

„Wir wollen keine toten Radfahrenden in der Stadt!“ Fragen Sie mich nicht, wer in welcher Stadt keine Geister-Radfahrer will – und wo genau ich diesen Satz gehört habe. Ich kann Ihnen nur sagen: Es war im Fernsehen. Im NDR. Heute Morgen in der Wiederholung der Nachrichtensendungen vom Vorabend. Und: Danach war meine Aufmerksamkeit schlagartig zurück. Aber der Sprecher schon vom Bildschirm verschwunden.

Trotz meiner Zitationsunschärfe sei diesem Sprecher, der sich vor den toten Radfahrenden fürchtet, gesagt: Tote können nicht Fahrrad fahren – und Untote, die vielleicht Fahrad fahren könnten, wenn Regisseur oder Schriftsteller es wollten, gehören ins Reich der Phanatasie, also ins Fernsehen oder ins Buch. Die wirklich Toten fahren nicht mehr Fahrrad. Genauso wie die Totinnen keine Radfahrerinnen sind, sondern eine sprachliche Analogie, die frei von mir erfunden und logisch gesehen noch dazu vollkommen unnötig ist. Der Experimentierkasten mit den Sprachbausteinen gibt sie allerdings her. Und wenn Sie’s googlen wollen, werden Sie feststellen: Ich bin gar nicht die erste Schreiberin, die darauf gekommen ist.

Nennen wir’s die späte Rache des Gerundivums: die toten Radfahrenden. Stellen Sie sich das doch mal bildlich vor. Am besten noch als Radrennen.

Der Gendertrick mit der Verlaufsform musste ja irgendwann zum Eigentor werden. Oder zur Grube, die man den anderen nicht gräbt. Weil man gar nicht nur selbst hineinfällt. Auch die toten Radfahrenden könnten hier gut und gern begraben werden – samt Sprecher. Es war gewiss ein Mann. Also brauche ich wahrscheinlich keine weibliche Endung. Auch wenn man das nicht so ganz genau wissen kann. 

Klüger macht’s, sprachlich betrachtet, die ZEIT: „Zahl der getöteten Radfahrenden bleibt hoch“, titelte sie schon am 19.08.2020:
https://www.zeit.de/mobilitaet/2020-08/fahrradtote-radfahrer-strassenverkehr-unfall-autos?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

Das ist natürlich souverän: Zwar sprachlich eher unschön, aber voll im Geist der Zeit, können Radfahrer und Radfahrerinnen nun nicht mit ihrem vollen Plural den Rahmen der Überschrift sprengen. Über die Todesursache lässt diese Überschrift uns ebenfalls von Anfang an nicht rätseln: Der Tod kam beim Fahrradfahren. Und ja, genau das ist ja auch das Thema. „Tote Radfahrer“, die sprachlich einfache Form, die noch aus den Vorzeiten der genderlosen und gerundiv verarmten patriarchalen Gesellschaft in Erinnerung geblieben ist, wäre hier inhaltlich viel weniger zutreffend. Ein toter Radfahrer kann ja seinen Tod in allen möglichen Lebenslagen erlitten haben. Er hat, sprachlich gesehen, nur zwei Eigenschaften: Er ist tot und war uns als Radfahrer bekannt. Verknüpft sind diese Eigenschaften nicht. Rein sprachlich betrachtet. Dass man sie inhaltlich – und kriminialistisch – verknüpfen kann, hat Inspector Barnaby in Staffel 18, Folge 3, bewiesen: „Der Tod radelt mit“, heißt die Folge, in der die Rennradfahrer gehäuft sterben. Das ist allerdings kein Fall für die Verkehrsstatistik und keine Nachricht für die ZEIT, sondern eine Aufgabe für die Mordkommission. Muss man nicht gesehen haben, sagen Kritiker durchgängig.

Zurück zur Überschrift in der ZEIT: Mit scharfem Verstand betrachtet sind die getöteten Radfahrenden sprachlich ein echter Fortschritt. Hier werden ja Kausalzusammenhänge ausgesprochen, die sonst untergegangen wären. Sozusagen unter die Räder gekommen, um im Bild zu bleiben.

Unklar bleibt der Grund für ihre sprachliche Dominanz dennoch. Zwar im Plural geschlechtslos, fordern sie doch im Singular ein deutliches Bekenntnis: Der Radfahrende oder die Radfahrende? Eine Frage, der der Sprecher ja gar nicht ausweichen kann. Merke: Nur als Herdentiere kommen wir mithilfe des Gerundivums ums geschlechtliche Bekenntnis drumherum. Damit unterscheidet sich der Radfahrer zumindest in dieser Frage nicht im Geringsten vom Radfahrenden.

Fehlt noch die Pointe zum Abschluss. Oder eine kurze Weisheit. Oder beides zusammen. Vielleicht hilft mir da der Duden: Ein Radfahrer, so heißt es unter 1., ist eine männliche Person, die Fahrrad fährt. Aber es gibt noch eine zweite Bedeutung. Die übertragene:
“männliche Person, die sich Vorgesetzten gegenüber um eigener Vorteile willen unterwürfig verhält, Untergebene jedoch schikaniert“. Die Einträge zur Radfahrerin sind, ich hab’s überprüft, analog.

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