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Die Hölle auf Erden - und der Ablasshandel für den Klimaschutz

Die Welt steht mal wieder ganz, ganz dicht am Abgrund. Feuer, Fluten, Sturm und Wind verwüsten und verwerfen Menschen und Leben. Die Bilder, die das Fernsehen zeigt, könnten auch eine großartige Kulisse für großartige Filme vom großartigen Inferno sein. Aber: Sie sind Wirklichkeit. Die Hölle ist los, und das mitten auf der Erde und zu einer Zeit, in der die Menschen nicht Tod und Teufel, nicht Gott und meist auch nicht den Mitmenschen fürchten. Von Achtung wollen wir gar nicht reden. Das Gerede von der Achtsamkeit sagt ja schon mehr als genug. Fürchterlich das alles.

Die Erderwärmung, Ausgangspunkt und Sinnbild aller Katastrophen, ist des Menschen Schuld. Und das ist offenbar eindeutig, entnehmen wir der am Montag (10.08.2021) in Genf veröffentlichten Erkenntnis des Weltklimarates. Die deutsche Forschungsministerin Anja Karliczek übersetzt das für dpa, für die Deutschen und letztendlich für die ganze Welt so: „Wir erwarten, dass der neue Bericht des Weltklimarates auch die allerletzten Zweifel ausräumt, dass der Mensch Hauptverursacher des Klimawandels seit Beginn der Industrialisierung ist.“ Kopiert ist das Zitat aus der Nachricht der Tagesschau am 09.08.2021,
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/weltklimarat-bericht-vorab-101.html.
Hier werden Sie dann praktischerweise gleich bildlich und filmisch mit dem griechischen Feuer weiterverlinkt. Nicht vom Regen in die Traufe also, sondern mitsamt aller Menschheitsschuld tief hinein in die Bilder aus der Hölle.

Nun fordern ungewöhnliche Zeiten ungewöhnliche Mittel. Oder ungewöhnliche Antworten. Klimaaktivistin Greta Thunberg hat wieder eine gefunden: Sie schmückt das Titelblatt der Modezeitschrift Vogue. Mit Pferd, Wald und Gewand. Das Bild finden Sie überall: auf Twitter, im Spiegel, in der Deutschen Welle, im Kölner Stadt-Anzeiger. Und auch hier geht’s ungewöhnlich weiter: Christian Bos schreibt eine Bildbetrachtung, und wer den Kölner Stadt-Anzeiger regelmäßig liest, weiß, dass das ein Grund für große Vorfreude sein kann.

(Die Papierausgabe am 10.08.2021 bildet das Vogue-Cover ab, der Internet-Artikel vom 09.08.2021 liegt nicht hinter Bezahlschranke, zeigt das Bild über Twitter, das funktioniert aber offenbar nicht oder nicht immer:
https://www.ksta.de/kultur/magazin-cover-wie-die--vogue--greta-thunberg-zur-heiligen-verklaert-38974388
Das Bild finden Sie u.a. auch bei der Deutschen Welle:
https://www.dw.com/de/greta-thunberg-auf-dem-cover-der-skandinavischen-vogue/g-57231426)

Bos ist mit Worten so treffsicher, dass er, sofern er will, auf der einen Seite seinen Gegner fest im Griff hat und auf der anderen Seite sein Leser ihm immer dicht auf den Fersen bleibt. Manchmal auch an seinen Versen klebt. Und nur selten bleibt die Achtung dabei auf der Strecke. Nämlich dann, wenn’s ums Heilige geht. Für alles Menschliche, und das ist ja auch richtig so, hat Bos bei allem Spott immer auch eine Spur von Verständnis. Fürs Heilige eher selten. Die Unterzeile zur Bos'schen Bildbeschreibung ist, angesichts des Vogue-Titelblattes, also ein mächtiger Grund für große Vorfreude: „Wie die ,Vogue’ Greta Thunberg zur Heiligen verklärt“.

Und watt iss? Nix iss!

Bos mäkelt ein wenig an der Modeindustrie herum, die Greta ein wenig vorführen will. Gut, das ist jetzt zweideutig. Aber das Vorführen ist tatsächlich beidseitig, Bos weiß das auch – und benennt das genauso. Greta, so erfahren wir im Laufe des Artikels, ist 18 Jahre alt und hat seit drei Jahren keine Kleidung mehr gekauft. Dass sie nach drei Jahren aus ihrer alten Kleidung eigentlich rausgewachsen sein müsste – wer fragt danach. Höchstens die Mütter von Teenagern. Aber wahrscheinlich auch nicht bei einer Heiligen. Christian Bos, der gewohnt ist, alles zu hinterfragen, was ihm quer kommt, fragt auch nicht. Nein, Greta kauft nicht, sie borgt sich die Kleidung anderer. Das ist jetzt mal wirklich nachhaltig. Und ansonsten, so entnehmen wir dem Text weiter, nutzt sie den Auftritt in wallenden, nahezu göttlichen (Marien-)Gewändern – aus abgelegten Stoffen der Modeindustrie, also fast nachhaltig – dazu, die Modeindustrie vorzuführen. Ach, wie pfiffig! Und: Sie bleibt beim Fototermin unberührt, denn sie spricht fast nur mit dem Pferd.

Wobei derselbe Christian Bos, der hier den Angriff aufs Heilige sich nur halbherzig traut, kurz vorm Muttertag keinen Zweifel daran ließ, dass wir, und gemeint waren ganz besonders wir Katholiken, nur einer Madonna huldigen sollen. Und zwar der Fleisch gewordenen Madonna Louise Ciccone, nicht etwa der heiligen Jungfrau Maria im blauen Gewand. Nun aber, Muttertag ist ja auch längst vorüber, weiß dieser Mann überhaupt nicht, was er in seinem Text mit der heiligen Greta der skandinavischen Wälder machen soll. Seine Bildbeschreibung ist so gut und so richtig, wie wir das alle irgendwann in der Schule gelernt haben. Was fehlt ist die treffende oder treffliche Aussage, zu der Bos sich hier nicht wirklich durchringen will.

Das muss nicht weiter schlimm sein, auch der brillanteste Schreiber kann ja nicht immer brillieren, und manchmal möchte auch ein Zyniker lieben und Anteil nehmen dürfen. So sei dem Autor seine Anteilnahme an Greta nicht verwehrt. Sie ist nur, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, ungewöhnlich. Und sie passt zu der Erkenntnis: Der Mensch ist schuld. So steht es im Kölner Stadt-Anzeiger am selben Tag (10.08.2021) auf dem Titelblatt. „Warnsignal fürs Weltklima“ titelt der Aufmacher nahezu vorsichtig, um dann in der Zeile darunter die Experten zu zitieren: „Experten: Erderwärmung ist ,eindeutig’ durch den Menschen verursacht“.

Weltuntergangsstimmung eben. Allein, es reicht nicht, Christian Bos zusammen mit Anja Karliczek auf die Apfelbaumplantage zu schicken. Aber vielleicht sind wir, die Menschheit, insgesamt doch noch zu retten, wenn wir besser sortieren zwischen heiligen und unheiligen Allianzen, zwischen Himmel und Hölle. Zwischen Prophetie und Propaganda. Und egal, wie christlich dieses Abendland tatsächlich ist, sein wird oder überhaupt jemals war: Die beste Apokalypse steht noch immer in der Bibel. De facto ist noch kein angekündigter Weltuntergang eingetreten, egal wie sehr und wie laut wir ihn herbeigesehnt haben.

Falls die Welt nun tatsächlich nicht gleich morgen untergeht, bleibt uns die Sehnsucht nach der Schuld. Schön war’s doch, als es zur Schuld auch noch die Sühne gab. Heute hingegen gehört das Wort ins Lexikon veralteter Begriffe. Stattdessen gibt’s Charity Shopping in allen Variationen: Biertrinken für den Regenwald war dabei gewiss die schönste Methode und hat Maßstäbe gesetzt. Die neue Form des veralteten Ablasshandels ist an Vielfalt nicht zu übertreffen: Spenden für Tiere, für Flutopfer, für Kinder in Not, für die Welt. Praktisch, online, beim Einkauf, mit einem Klick. Auch Paketdienste handeln quasi mit Ablässen. Hier heißt das Zauberwort klimaneutral. Und das geht, bei GLS zum Beispiel, so: Ich lasse mein Paket im Paketshop hinterlegen und hole es selbst ab. Spart Sprit. Insofern klimaneutral. Es sei denn, der nächste Paketshop liegt in der Tankstelle kurz vorm Autobahnkreuz – und dort hält weder Bus noch Bahn. Um Sprit zu sparen, muss zumindest ich, mit dem Auto zum Autobahnkreuz.

Fazit: Vielleicht geht die Welt noch nicht sofort unter, auf jeden Fall verdient diesmal die Kirche beim Ablasshandel nicht mit und wir haben vor dem Tod die Hölle schon hinter uns. Bis dahin aber sollten wir die Chance nutzen und uns rechtzeitig freikaufen bzw. freisaufen. Oder wir halten uns an die klassische, katholische Bittformel: „Heilige Greta, bitte für uns!“*

* Damit Sie diese Bitte nicht von vornherein für eine blasphemische halten: Die katholische Kirche kennt gleich mehrere Heilige mit dem Namen Margaretha. Die legendärste, wahrscheinlich schönste  – und am wenigstens authentische – ist die Geschichte der heiligen Margaretha von Antiochia.

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