Gib das schöne Händchen! Diese Belehrung aus Kindertagen ist hoffentlich so antiquiert wie der Struwwelpeter, aus dem sie stammen könnte. Wahrscheinlich haben nicht nur Generationen von Linkshändern an ihr Schaden genommen. Schaden werden aber auch genauso die Scharen von Kindern genommen haben, denen der übliche Händedruck gar nicht mehr antrainiert wurde, da er als genauso überkommen galt wie die Erziehung zur Rechtshändigkeit.

Nein, er ist es nicht. Der Handschlag ist weder verkommen, noch überkommen, noch unter die Räder gekommen. Auch nicht wirklich aus der Mode. Er lebt und erlebt gerade seine Wiederauferstehung: Der Begrüßungshandschlag kehrt langsam und unaufhörlich nach der Coronakrise dahin zurück, wo er hergekommen ist. Aus dem tiefen Bedürfnis der Menschen, sich ein Signal der Aufrichtigkeit zuzusenden in das tiefe Bedürfnis der Menschen, die sich wieder ein Signal der Aufrichtigkeit geben möchten.

Gleichwohl: Die Krise mit dem großen C am Anfang ist noch nicht ausgestanden, und der Händedruck gerät des Öfteren mehr recht als schlecht oder gar auf die schiefe Bahn. Und das öffentlich und offiziell und oft auch im Beisein der Fernsehkameras. Also ausgestreckte Hand gegen geballte Faust. Oder die ausgestreckte Hand wird von ihrem Besitzer winkend in die Höhe gehoben, sobald er erkennt, dass das Gegenüber ihm nicht ebenso gegenübertreten wird. Für den Handreicher ein Gefühl, als gehe man eine Stufe dort, wo keine Stufe ist.

Dass der Händedruck trotz, mit, erst recht oder gar wegen (?) Corona überlebt, hat gute Gründe. Er beinhaltet nämlich ein Bündel von Informationen. Angefangen mit dem Beweis, dass wir offenbar keine Waffe in der Hand halten, bis zum Eindruck unseres Charakters, den wir durch die Stärke, Länge, und den Druck absichtlich in die Begrüßung legen können. Und dann kommen noch die vielen kleinen Wahrnehmungen dazu, die wir leider nicht beeinflussen können, und die das Gegenüber vielleicht auch nur unbewusst wahrnimmt, aber trotzdem versteht: die nasse Hand, die fleischige Hand, die zitternde Hand. Nicht umsonst mussten in früheren Kindheiten die Kinder zum Händedruck gezwungen werden. Oft war der Händedruck beim Onkel mindestens gleichwertig schlimm zum Küsschen der Tante. Und gibt es da nicht auch noch das Erkennungszeichen der Freimaurer – ein ganz spezieller Händedruck, den nur die eigenen Leute erkennen? Und der noch immer das Interesse der Nicht-Freimaurer weckt?

Weil der Händedruck ein so bedeutendes wie breites Informationsaustauschfeld ist, widmet sich eine gute Karrierebibel natürlich immer auch Bedeutung der einzelnen Informationen. Mitsamt Verhaltenscodex: Nicht schütteln, immer im Stehen, der Ranghöhere zuerst, nicht länger als 5 Sekunden und so weiter und so fort. So weit, so gut. Und wir sind bei: Geben Sie schön Händchen. Und doch besser die rechte und nicht die linke Hand. Denn das erspart auch Ihnen die Verwirrung des rechtshändigen Gegenübers, der nicht weiß, wie er seine Rechte grüßend in Ihre Linke drehen soll.

Soweit ist das nun tatsächlich sehr weit ausgeholt. Nur, damit die Sachlage einmal grundlegend angerissen ist. Denn die Forschung geht offenbar noch viel weiter. Zumindest in der Darstellung in den  österreichischen Medien. Wo hier Wissenschaft und Nachricht ins Schwammige übergehen, müssen Sie selbst entscheiden. Zusammengefasst lautet die Nachricht über die Erkenntnis der Wissenschaft: Der schwammigere Händedruck zeigt ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko an. Mindestens aber Gesundheitsprobleme. Und es reicht eine nur kleine Abweichung vom Durchschnitt aus für diesen Hinweis.

Ich wette, auch Ihnen fallen auf Anhieb ein bis zwei Kandidaten ein, deren Händedruck nicht nur geringfügig geringer ist, als der Händedruck einer vergleichbar alten Person gleichen Geschlechts. Und nun kennen Sie auch die Diagnose: Das Sterblichkeitsrisiko dieser Kandidaten ist erhöht.

Die Gegenerkenntnis der Forscher: Ein zu starker Händedruck weist leider nicht auf mehr Gesundheit hin. Und falls Sie selbst betroffen sind: Kommen Sie nicht auf den Gedanken, durch Training des Händedrucks ein höheres Sterblichkeitsrisiko auszugleichen: Trainieren hilft da nichts. Zumindest nicht gegen Ihr Sterblichkeitsrisiko. (Zum Trost: Das Wort heißt Risiko. Sie sind damit noch keineswegs zu einem frühen Tod verurteilt). Aber vielleicht können Sie durch gezieltes Üben des Händedrucks zumindest ihrem Gegenüber ein paar wichtige sensorische Informationen vorenthalten. Womit wir beim Anfang wären: Geben Sie schön Händchen.

Händedruck und Sterblichkeitsrisiko, Krone, 26.07.2022:
https://www.krone.at/2770022

Wiener Zeitung, 26.07.2022:
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/2156041-Der-Haendedruck-und-die-Sterblichkeit.html

ntv über die Rückkehr des Handschlags am 02.06.2022:
https://www.n-tv.de/wissen/frageantwort/Handschlag-nach-zwei-Jahren-Corona-Was-steckt-eigentlich-hinter-dem-Begruessungsritual-article23345656.html

Der Händedruck im Vorstellungsgespräch, ausführlicher Text mit ausführlicher Anleitung. In: Absolventa, ohne Datum:
https://www.absolventa.de/karriereguide/koerpersprache/haendedruck

Auch die Karrierebibel widmet sich dem korrekten Handschlag, mit sprachlicher Klassifizierung verschiedenster Handschläge. Vom Roboterhandschlag bis zum Zangenhandschlag, von der Ghettofaust bis zum verweigerten Handschlag. Ausführlich und auch nett lesbar. 18.02.2022.
https://karrierebibel.de/goldener-handschlag-handedruck-hand-geben/

Grundlegendes und Geschichtliches – angefangen im Römischen Reich, Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4ndesch%C3%BCtteln

Dass der Handschlag variabel ist – und vor allem wie weit er variabel ist – zeigt ein Video, 2015, Julien Bam. Das Beste an dem Video ist Humor und Slapstick. Viel Vergnügen:
https://www.youtube.com/watch?v=ovvoSqo6JjU

Und wenn Sie künftig auch per Handschlag handeln wollen, hätte ich noch eine Empfehlung. 48 Minuten Doku vom NDR, Viehhändler und der Gallimarkt in Leer:
https://www.youtube.com/watch?v=pxV2-E8VaoA