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Zur Brötchenfrage

Ein Brötchen ist etwas ganz Besonderes. Besonders dann, wenn es am Wochenende auf dem eigenen Frühstücksteller liegt. Wer wollte das bezweifeln? Und vielleicht liegt neben diesem Brötchen noch die Brötchentüte mit der Aufschrift, für die wohl die Bäckerinnung verantwortlich zeichnet. Dort wird eine ganze Liste von Namen aufgezählt, die die Deutschen je nach Region diesem besonderen Brötchen gegeben haben: Schrippe, Rundstück, Weckchen oder Wegge, Semmel, Laibchen – um nur einige zu nennen. Da sich aber auch die Vielfalt der Brötchen eine deutsche Besonderheit ist, sind wir damit noch lange nicht am Ende aller Namensgebung: Roggenbrötchen, Mehrkornbrötchen, Rosinenbrötchen, Brezel, Laugenbrötchen, Croissant: Das alles, und noch viel mehr, liegt nicht nur für den König von Deutschland auf und in den Brötchentheken Deutschlands.

So weit ist alles noch ganz klar und einfach: Das Roggenbrötchen wird mit Roggenmehl gebacken, das Croissant ist aus Frankreich eingewandert, das Rosinenbrötchen enthält Rosinen. Das Laugenbrötchen durfte in Lauge baden, bevor es in den Ofen kam. Nomen est omen. So soll es sein. Das vereinfacht den Verkauf und erspart viele Fragen.

Nun ist aber, wie oben gesagt, jedes Brötchen etwas Besonderes. Dieser Tatsache werden die einfachen Namen vielleicht gar nicht immer gerecht. Deswegen ist unter Deutschlands Bäckern so etwas wie ein Namensgebungswettbewerb ausgebrochen. Das Vitalbrötchen – namenstechnisch ein ganz alter Hut – mag dazu vielleicht den Auftakt gegeben haben: Es galt, den Zusatznutzen des Brötchens zu benennen. Anfänglich. Mittlerweile erhalten die Brötchen aber sogar Persönlichkeit. Im glücklichsten Falle zum Beispiel einen Kurznamen, der sich vom Namen der Bäckerei(kette) ableitet. Das besondere Brötchen bekommt so quasi einen Familiennamen.

So weit ist auch alles noch ganz gut. Dann muss irgendwann innerhalb dieses Wettbewerbs aber noch der Deutschen Fantasie ausgebrochen sein. So können Sie, glaubt man dem Spiegel, an Deutschlands Brötchentheken auch Nonnenfürzchen, Lattenkracher, Ladykiller und Ofenschlüpfer ordern. Zum Beispiel. Das Brötchen ist eben den Deutschen etwas ganz Besonderes. Der Spiegel hat nach eigenen Angaben sich bei seinen Lesern umgefragt und Zuschriften mit den ausgefallensten Brötchennamen erbeten. Herausgekommen ist eine Liste mit vielen Namen, die Sie nicht unbedingt in der Bäckerei aussprechen möchten. Da sich so einige dieser Namen auch an der heimischen Brötchentheke verifizieren lassen, besteht der konkrete Verdacht: Der Spiegel ist es wirklich nicht, der diese Brötchenbenennungen erfunden hat. Schauen Sie nach, vielleicht ist auch ein Vertreter von ihrem Lieblingsbäcker dabei:
https://www.spiegel.de/netzwelt/broetchennamen-die-skurrilsten-kreationen-vom-sachsenrammler-bis-nonnenfoetzchen-a-89c05d8e-dbd0-418a-8c77-6c9a985b119f

So weit ist immer noch alles gut. Schließlich sagt ein altes deutsches Sprichwort: Klappern gehört zum Handwerk.  Und wenn Sie die Unaussprechlichen nicht aussprechen möchten, können Sie immer noch Ihren Zeigefinger zu Hilfe nehmen und freundlich sagen: „Ich hätte gerne dieses Brötchen. Dort in der zweiten Reihe da. Nein, nicht das da, sondern das Brötchen neben dem Schokocroissant.“ Sie können sicher sein, nach dieser ganz konkreten Beschreibung wird der nächste Kunde ganz genau gucken, welches Brötchen Sie denn da gewählt haben.

Nun begab es sich neulich, dass ein Schuldirektor in eine Bäckerei kam, um sich vor dem Schulunterricht noch schnell sein Frühstück zu kaufen. Dieser Schuldirektor ist aufgrund der Besonderheiten im schulalltäglichen Umgang mit den Verschiedenheiten der Menschen, die nicht mehr allein zwischen männlich und weiblich sich unterscheiden, sprachlich ganz besonders geschult. Sprachlich darf man nämlich, nicht nur an Deutschlands Schulen, längst nicht mehr alle und alles über einen Kamm scheren. Frauen und Männer nicht, Jungen und Mädchen nicht, sie müssen in der Sprache als Verschiedenheiten mit verschiedenen Endungen kenntlich gemacht werden. Und zwar dergestalt, dass diejenigen Schüler, die sich den Frauen und Männern genauso wenig zugehörig fühlen wie den Jungen und Mädchen, durch diese Benennungen und Endungen nicht ausgegrenzt werden. Dieser Schuldirektor arbeitet an einer Schule, in der jeder Schüler, egal ob queer oder einfach nur quer, sich als Gruppe nicht nur namentlich wiederfinden kann. Sie dürfen also davon ausgehen, dass er nicht nur sprachgewandt ist, sondern auch noch die Verrenkungen der Gegenwart mit einem Minimum an Würde zustande bekommt. Und dass er sensibel ist für die neuen Notwendigkeiten, die die Sehnsucht nach Differenzierung und Individualisierung alles Menschlichen mit sich bringt.

An der Brötchentheke aber, noch bevor der Schulalltag ihn eingeholt hatte, bestellte dieser Schuldirektor, vielleicht ja noch im Halbschlaf, eine Tüte mit „normalen“ Brötchen.

Sie ahnen es schon: Der Schulmeister wurde belehrt. Diese Bäckerei führt nämlich nicht nur keine normalen Brötchen, die Bäckereifachverkäuferin deutete dem Schulmeister mithilfe ihrer Augen und eines schrägen Untertones in der Stimme deutlich an, dass das Adjektiv „normal“ nicht nur in diesem Zusammenhang eine völlig unangemessene Bezeichnung ist.

Sie denken, ich übertreibe? Zwar habe ich selbst nicht neben diesem Schuldirektor an der Theke gestanden, doch die Wahrheit dieser Geschichte ist verbürgt. Und Sie müssen die derzeitige Differenzierungssorgfalt ja auch nur stringent zu Ende denken: Sobald Sie Normalität einfordern, schließen Sie damit ja alles andere aus. Damit beginnt doch die Diffamierung und Diskreditierung schon. Der Schuldirektor hat ganz eindeutig gegen die Etikette verstoßen, als er ein normales Brötchen bestellte. Kein queeres und kein queres Brötchen wird sich, derartig ausgeschlossen, an der Ladentheke noch wohlfühlen können. Das Adjektiv „normal“ wurde von der Bäckereifachverkäuferin enttarnt. Es ist nicht nur unzulänglich. Es ist nicht nur grenzwertig. Es ist entwürdigend.

Selbstverständlich wurde diese Diskussion an der Ladentheke nicht auf sprachlicher Ebene geführt – aber wie oben ausgeführt, der Schuldirektor ist geschult, was sprachliche Sensibilität betrifft. Er hatte halt nur einen Moment nicht wirklich achtgegeben, als er eines Morgens – ganz normal – seine Brötchen bestellte.

Die sich nun ergebende Frage, unter welchem Namen der Schuldirektor denn dann die von ihm gewünschten Brötchen bestellen solle, konnte die Verkäuferin schnell beantworten: Weizenbrötchen.

So einfach kann deutsche Sprache eben auch sein.

Und wenn wir an dieser Stelle dem Spott nun ein Ende setzen wollen, wird es Zeit für eine Proklamation: Wir müssen uns so allmählich dafür einsetzen, dass die Normalität nicht ausgegrenzt wird. In einer Welt der Vielfalt muss doch auch das Normale einen Platz haben. Wenn jeder so anders sein darf, wie er möchte, und ja: jeder darf so sein, wie er möchte, dann müsste doch auch der Normale etwas gelten dürfen.

Liebe Bäcker: Es ist gar nicht schlimm, wenn Sie uns ganz normale Brötchen backen und verkaufen. Es ist auch nicht weiter schlimm, wenn Sie uns kleine Brötchen zu kleinen Preisen backen. Und es ist ganz wunderbar, wenn Sie neben die normalen Brötchen auch noch die Vollpfosten und Dreckschaufeln (aus der Namensliste des Spiegels) in ihre Theke legen. Unsere Welt ist so schön und groß und bunt: Es ist Platz für alle da. Oder wie der Kölner sagt: Jeder Jeck iss anders.

Der Krankenhausplan NRW steht
Mahlzeit - Vom Essen und neuen Projekten in deutsc...
 

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