Wer spinnt hier eigentlich? - Nosferatu und die neue Gruselmania
Ich glaube fast, ich spinne. Sie ist mittlerweile nahezu überall – vor allem in den Medien. Nosferatu. Eine nicht ganz kleine Spinne, die bislang wärmere Breitengrade bevorzugt hat. Sich jetzt aber, offenbar am Rhein entlang, hocharbeitet. Auch im tiefsten Westfalen – weit weg von Rhein und Ruhr – wurde sie schon gesichtet.
Untot ist sie nicht – und ein Unwesen wahrscheinlich auch nicht. Obwohl Überschriften gerne darauf hinweisen, dass sie eine Giftspinne ist. Wer Näheres wissen will, muss meist bis zu Ende des Artikels lesen, um dann zu Erkenntnis zu gelangen: Ein Wespenstich ist schlimmer. Zwei Tage hält der Biss von Nosferatu.
Interessanter noch als die Lebensweise der Kräuseljagdspinne, die kein Netz baut, ihre Beute mit Sprüngen fängt, sind die Schaudergesänge, die ihr allerorten zur Begrüßung gesungen werden. Echo24, ein Medium, für das man vielleicht das schöne Wort halbseiden wiederaufleben lassen könnte, formuliert in großen Buchstaben in der Zwischenzeile:
„Giftspinne breitet sich in Deutschland aus – Experten warnen“
Der Trick funktioniert: Schlagartig ist der Leser gefangengenommen. Eingesponnen sozusagen von den Worten eines klugen und berechnenden Redakteurs, der im sich unmittelbar anschließenden Fließtext konkret und sofort weiterformuliert (29.08.2022): "Experten warnen vor Panik." Na dann!
https://www.echo24.de/leben/tiere/spinne-nosferatuspinne-warnung-ausbreitung-deutschland-gebaeude-experten-gift-kraeuseljagdspinne-90941682.html
Unlauterer Sprachgebrauch, so würde ich das mal nennen. Und den Autor treibt dann auch sein schlechtes Gewissen dazu, uns am Schluss des Artikels die ganze Wahrheit über die Spinne und über die Experten zu verraten: Experten verweisen nämlich darauf, dass die Spinne sehr nützlich ist. Weil sie Ungeziefer frisst – und damit zwangsläufig auch Krankheitserreger, die dieses Ungeziefer sonst gewiss nur zu gern weiterverbreitet hätte.
Nun will ich Ihnen aber das Gruseln nicht völlig verderben. Zumal ganz offensichtlich nicht nur Echo24 gern mit dem Grauen spielt. Deswegen hier ein kleines, literarisches und linkisches Gruselkabinett:
Literarisch nicht wirklich eine Höchstleistung. Im Gegenteil, sprachlich ganz deutlich im Bereich der Stilblüten zu verankern – grammatikalisch müsste der Korrektor ein großes A an den Rand schreiben. Ausdruck! Das Medium des Grauens heißt Heidelberg24, die Verwandtschaft zu Echo24 ist schon am Layout zu sehen. Aber nun in medias res:
„Eine Arachnophobikerin hat uns exklusiv ihre Begegnung mit den gruseligen Achtbeinern zukommen lassen.“
Das gibt ja eigentlich Anlass nicht nur zum Schmunzeln, sondern auch zur Hoffnung auf eine spannende Geschichte. Was aber dann kommt, ist eine wenig gruselige, wenig aufregende Schilderung, wie eine Redakteurin, die sich vor Spinnen fürchtet, mit einem Wasserglas auf Spinnenfang geht. Sprachlich und erzählerisch allerdings irgendetwas zwischen gruselig und grauenvoll, Artikel vom 29.08.2022.
https://www.heidelberg24.de/heidelberg/nosferatu-haus-briefkasten-begegnung-spinne-erfahrungsbericht-arachnophobie-91744152.html
Damit genug aus den sprachlichen Untiefen. Nun ein paar Sichtungshinweise in klassisch journalistischer Aufarbeitung. Sachlich – und nur manchmal etwas versponnen. Was dem Thema geschuldet ist, und der Lust des Lesers am Grusel.
Garage in Jüchen, Rheinland, Artikel NGZ online, 29.08.2022:
https://rp-online.de/nrw/staedte/juechen/juechen-gierath-giftspinne-nosferatu-an-garage-entdeckt_aid-75836255
Nosferatu im Münsterland, Artikel hinter Bezahlschranke bei den Westfälischen Nachrichten, 26.08.2022:
https://www.wn.de/muensterland/giftspinne-nosferatu-ausbreitung-2619055?pid=true
Spinne in Karlsruhe. Eine reportagenartige Nacherzählung einer Spinnenjagd, mit Kindern in Schockstarre und allem, was dazugehört. ka-news, 29.08.2022:
https://www.ka-news.de/region/karlsruhe/begegnung-der-besonderen-art-familie-aus-karlsruhe-wird-von-nosferatu-spinne-erschreckt-sichtungen-haeufen-sich-art-2837703
Sachlichkeit und Gruselfaktor aufs Schönste vereint hat der Merkur in seinem Artikel vom 29.08.2022. Hier werden Wissensdurst und Schaudersehnsucht zugleich gestillt. Was will der Leser mehr?
https://www.merkur.de/deutschland/gefaehrlich-zoropsis-spinimana-aktuell-nosferatu-spinne-gift-riesenspinne-91741779.html
Die „Welt“ mit Video – und zwar aus und mit der Familie, die bereits 15 solcher Spinnen gefangen hat, 27.08.2022:
https://www.welt.de/vermischtes/video240705887/In-Berlin-gesichtet-Die-Nosferatu-Spinne-breitet-sich-in-Deutschland-aus.html
Ganz anders zieht der Trierische Volksfreund seinen Artikel auf. Er beginnt mit „Keine Panik“ – und leitet dann über zur Wespenspinne, die vor 50 Jahren für Furore gesorgt hat – aber auch nicht die Welt ins Wanken gebracht hat. Zudem: Chefreporterin Katharina De Mos versteht ihr Handwerk und hat Humor. Das macht das Lesen nicht nur leichter, sondern auch wirklich erfreulich, 29.08.2022:
https://www.volksfreund.de/region/rheinland-pfalz/wespenspinne-keine-panik-wegen-der-nosferatu-spinne_aid-75855315
Und den ersten Preis in dieser Liste haben die Badischen Neuesten Nachrichten verdient. Sie bedienen nämlich ganz offen und geradeaus die Lust am Grauen – und warten mit einer fotografischen Nosferatu-Gruselgalerie auf. Überschrift: „Die Spinnen doch!“ 25.08.2022:
https://bnn.de/kraichgau/bruchsal/die-spinnen-doch-eine-nosferatu-gruselgalerie-zum-abgewoehnen
Den Bildern ist dann wohl nichts mehr hinzuzufügen. Außer vielleicht: Nehmen Sie sich heute Abend sicherheitshalber eine Taschenlampe mit ans Bett. Wer weiß, wozu die gut ist. Und ein leeres Wasserglas.
Kommentare 1
Wer möchte, kann seine "Nosferatu-Spinnen"-Sichtungen béim Portal vom Nabu melden:
https://nrw.nabu.de/tiere-und-pflanzen/insekten-und-spinnen/spinnen/32106.html
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