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Wehe, Sie passen nicht gut auf sich auf! Vom neuen, kategorischen Imperativ

Bleiben Sie gesund und passen Sie auf sich auf!

Am besten auch noch gut. Gute Wünsche gibt’s wohlfeil. Wobei: Diese Wünsche sind grammatikalisch zweifelsfrei ganz deutliche Imperative. In der Umkehrung: Werden Sie bloß nicht krank! Oder gar: „Wehe, Sie werden krank!“

Kaum ein Schreiberling, der sich seit März 2020 nicht an diesem kategorischen Imperativ geübt und abgearbeitet hätte. Zu Recht. Und keiner vergisst den Hinweis, dass der Wunsch auch Drohung ist. Und Unterstellung: Als ob irgendjemand von uns ein Interesse daran hätte, krank zu werden. Oder als ob wir eine stille Sehnsucht verspürten, zu erkranken.

Passen Sie gut auf sich auf! Übersetzt heißt das doch: Hüten Sie sich, die Hygieneregeln zu missachten!

Das Spiel mit den Imperativen ist impertinent. Nach einem ganzen Jahr ist es voll und ganz impertinent. Wer mir postalisch alles den Befehl gibt, gesund zu bleiben, weiß in den seltensten Fällen, welche heimlichen oder unheimlichen Krankheiten ich längst habe. Ja, er weiß meist nicht einmal, ob ich gesund bin oder wie es mir überhaupt geht. Einem Kranken aber den Befehl zu geben, gesund zu bleiben, ist ungefähr so gefühlvoll, wie einen Blinden zu verabschieden mit der Grußfloskel „Wir sehen uns.“

Die Impertinenz des Imperativs hat aber auch noch ganz andere Gründe, so vermute ich ohne irgendwelche gesicherten Basiskenntnisse in Psychologie: Angriff ist nämlich die beste Verteidigung! Glauben Sie nicht? Doch klar: In dem ich Ihnen auf Herzlichste ein „Bleiben Sie gesund“ entgegenflöte, habe ich mich schon zu denen bekannt, die nicht auf der Seite des Virus stehen. Ich habe es nicht, ich verteile es nicht, ich bin nicht schuld, an mir kann’s nicht liegen. Es sind die vielen anderen Ungesunden, die das Virus verteilen. Ich gehöre nicht dazu. Überhaupt nicht. Sonst würde ich Ihnen doch nicht solche gut gewünschten Anweisungen erteilen.

Das stimmt natürlich nur begrenzt. Auch ein Kranker kann Ihnen Gesundheit wünschen. Aber die weiße Weste hat er sich dennoch schnell angezogen.

Aber wechseln wir das Feld – von der Laienpsychologie zur Etikette: War es nicht vor fast zehn Jahren schon out, einem Niesenden überhaupt nur Gesundheit zu wünschen? Alle Knigge-Regler begannen zu beschreiben, dass eine solche Reaktion erstens den Niesenden unzulässig in den Mittelpunkt rückt und zweitens seine Krankheit zum Thema macht. Tut man nicht. Die Regularien gingen dann dahin, dass der Niesende sich zu entschuldigen hat, die Umstehenden kurz, aber unauffällig zu nicken haben. Nachzulesen unter anderem in der „Welt“ vom 12.11.2012, also frei von jedem Corona-Verdacht.**
https://www.welt.de/gesundheit/article110937345/Beim-Niesen-gelten-heutzutage-neue-Benimmregeln.html

Nun von der Etikette zur Historie, der „Welt“ hinterher: Der Wunsch nach „Gesundheit“ sei nämlich gar kein Wunsch und stamme aus der Zeit der Pest. Und keineswegs habe er dem niesenden Gegenüber gegolten. Vielmehr sei es eine Formel für den Sprecher gewesen. Von Beschwörung redet die „Welt“ nicht, aber wir dürfen hier bestimmt frei fantasieren. Zumal auch die Welt den Nicht-Wunsch zu Pestzeiten als Begründung für die geänderten Benimm-Regeln in der Gegenwart laufen zu lassen gedenkt.

Die Argumention mit der Pest läuft durch die gesamte Knigge-Nies-Debatte – von der Karrierebibel bis zu Wikipedia. Wobei manch einer auch das Gegenüber in den Gesundheitschutz der Bitte miteinbezieht. Allein Wikipedia aber formuliert die Pest-Gewohnheit mit Fragezeichen: eine Theorie nur – und nachweisen ließe sich der Gesundheitswunsch literarisch erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nachdenklich stimmt der spätere Hinweis darauf, dass der Wunsch „Gesundheit“ in den amerikanischen Staaten durchaus in deutscher Sprache üblich ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Niesen

Und wo ist nun der Ausweg? Sowohl für die Etikette als auch in der Sprache? Wie wär’s mit: „Gott schütze Dich“ - oder natürlich Sie? Für den, der nicht so altbacken frömmelnd daherkommen will, empfiehlt sich ein frisches „God bless you“? So sagt der Engländer – und zwar immer noch. Der Gottlose oder der Gott ferner Stehende kann da auch gern die Kurzformel „Bless you“ verwenden. Der Österreicher versucht’s ebenso gegenwärtig immer noch mit „Helf dir Gott“, der Spanier sagt „Jesus“, der Portugiese ruft gleich alle Heiligen in einem Aufruf zusammen. Und das alles nur beim Niesen!

Da dürfen wir doch bestimmt in der Pandemie laut nach Gottes Beistand rufen – und sei es nur in der Floskel. Wem jetzt die göttlichen Formulierungen doch nicht so ganz geheuer sind: Mit Adieu und Tschüß haben Sie jedesmal Gott im Gruß, auch wenn Sie’s gar nicht wissen. Tschüß ist nichts weiter als eine Umformung aus Adieu. Und auch Ade ist nur eine Kurzformel des selben Grußes. Die Yoga-Wikis legen sogar dem Grußwort „Hallo“ eine göttliche Komponente bei: „Hail Lord“ soll er einst geheißen haben. Da geht aber unser Grimmsches Wörterbuch tatsächlich nicht mehr mit: Dort kommt Hallo von holen. Und es begann mit dem Fährmann, der so gerufen wurde.

Sie sehen trotz meiner Umschweife, worauf ich hinaus will? Mit göttlichem Beistand wäre doch uns allen geholfen. Auch sprachlich. Denn der Adressat ist nun gar nicht mehr allein verantwortlich für seinen Gesundheitszustand – und vor allem fällt der unterschwellige Vorwurf weg. Bleib gesund, heißt doch nichts anderes als: Benimm dich. Halte Die AHA-Regeln ein, bleib zuhause. Der Imperative sind ja viele geworden.

In diesem Sinne: Gott schütze Sie!

animato choir und animato symphony Text: Eugen Eckert Musik: Aders Ruuth, David Plüss Arrangement: Markus Geissbühler _____FOLLOW ENSEMBLE ANIMATO Official Website: https://www.animato.ch/home.html Facebook: https://www.facebook.com/ensembleanimato Instagram: https://www.instagram.com/ensemble_an...

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https://www.youtube.com/watch?v=b9aO72h2rQY

 

** Sie dürfen übrigens offenbar seit 2015 jedem, der niest, wieder "Gesundheit" wünschen. Denn die Nicht-Beachtung des Niesens kam auch nicht gut an. Weiteres im Domradio vom 08.11.2015:
https://www.domradio.de/radio/sendungen/fragen-zwischen-himmel-und-erde/sonntagsfrage-wieso-nur-beim-niesen

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