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Die Erfolge der Hausärzte und die Ängste der Politiker vor der Pandemie

Von Uwe Eissing

Die aktuelle Impfstatistik des Robert Koch-Instituts zeigt die Wirksamkeit der hausärztlichen Impfkampagne. Werden am Montag (05.04.2021) noch 249.000 Impfungen vom RKI registriert, so folgen am Dienstag 372.506 Impfungen. Am Mittwoch sind es dann bereits 668799, die Zahlen für den Donnerstag steigen auf 719.927 Impfungen und am Freitag, üblicherweise in den Hausarztpraxen nur ein halber Tag, liegt die Anzahl der Impfungen bei 547.726.

RKI-Tagestatistik

Tag

1. Impfung

2. Impfung

Summe

06.04.2021

274.879

97.627

372.506

07.04.2021

575.067

93.732

668.799

08.04.2021

633.613

86.314

719.927

09.04.2021

476.923

70.803

547.726

Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Impfquotenmonitoring.html

Die Entwicklung der täglichen Impfzahlen ist mehr als erfreulich und deutet auf ein absehbares Ende der Pandemie, wenn da nicht diese anderen Probleme wären. Und tatsächlich trudelte am Freitag die Nachricht aus dem Apothekengroßhandel ein, dass ab übernächster Woche die noch zu niedrigen Impfdosen für die hausärztliche Impfkampagne angeblich halbiert werden, um die staatlichen Impfzentren zu versorgen. Was geht hier eigentlich vor? Und wer fürchtet hier was?

Fangen wir mit den erfreulichen Seiten der aktuellen Nachrichten an. Die niedergelassene Ärzteschaft hat das Personal, die Räumlichkeiten, das Know-How und die IT-Systeme, um Impfungen schnell und sachgerecht durchzuführen. Impfen ist hausärztliches Tagesgeschäft, das Handling der Risiken und Nebenwirkungen ist nirgendwo besser verortet als in der Hausarztpraxis. Selbst die Priorisierung der Risikopatienten erfolgt hier genauer, individueller und schneller und gründet auf persönlicher Kenntnis, Erfahrung und Dokumentation einer Vorgeschichte. Wie kann es besser laufen?

Dabei zeigen die bisherigen, bereits erfreulichen Zahlen nur die Spitze der Leistungsfähigkeit der hausärztlichen Versorgung. Dazu eine kurze Überschlagsrechnung. Nehmen wir die Zahl der Impfungen vom Donnerstag mit 668.799 und ziehen die bisherige Höchstzahl von 367.000 Impfungen durch staatlich organisierte Impfzentren ab, dann erhalten wir eine Zahl von 283.000 Impfungen durch Hausärzte am letzten Donnerstag. Gehen wir von einer Anzahl von 35.000 hausärztlich tätigen Ärzten aus, ergibt dies eine Anzahl von 8 Impfungen pro Arztpraxis. Gehen wir von 50.000 hausärztlichen Arztpraxen aus, dann erhalten wir die Zahl von 6 Impfungen pro Tag. Selbst in kleineren Arztpraxen sind Patientenzahlen von 30 Impfungen pro Tag durchaus organisierbar. In den großen hausärztlichen Gesundheitszentren liegen die Kapazitätsgrenzen deutlich höher. Dazu einige Eindrücke.

Am gestrigen Freitag bin ich in einem Gesundheitszentrum, der Praxis meines Bruders, geimpft worden. Meine Eindrücke: Die Organisation der Abläufe ist durchdacht und auf eine Impfkampagne vorbereitet. Einige Tage zuvor habe ich in der Praxis die vorbedruckten RKI-Dokumente zur Aufklärung, Anamnese und Einwilligung abgeholt. Zum Impftermin bringe ich die Dokumente ausgefüllt und unterschrieben mit. Da ich keine weiteren Fragen habe, verzichte ich ausdrücklich auf eine ausführliche Aufklärung durch die Arztpraxis. Die Impfung ist auf den Freitagnachmittag von 14:00 bis 18:00 Uhr angesetzt. Bereits eine halbe Stunde vorher bildet sich die Warteschlange. Alle Patienten verhalten sich ruhig, diszipliniert und maskiert. Die Abstände werden gewahrt und alle halten die RKI-Dokumente in ihren Händen. Im Eingangsbereich erwartet mich eine Helferin, die darauf achtet, dass ich meine Dokumente dabei habe, und die mich dann an den nächsten freien Annahmeplatz leitet. Dort werden meine Dokumente kurz geprüft. Leider habe ich keinen Impfausweis und kann mich auch nicht erinnern, wann und wo ich den zuletzt benötigt haben könnte. So erhalte ich ein Ersatzformular für die Dokumentation einer Impfung und werde nun von einem Helfer in ein Behandlungszimmer geleitet. Ich folge. Dort mache ich den linken Arm frei. Ich bin Rechtshänder und habe von Helga & Marianne* gelernt, dass der geimpfte Arm irgendwann (nach Jahren) abfallen kann. Vorsicht ist also geboten. Meine 88-jährige Mutter hat aus demselben Grund den rechten Arm freigemacht. Sie hat mich auch informiert, dass diese Impfung nicht ganz ohne Nebenwirkungen ist: Sie hat am zweiten Tag nach der ersten Impfung verschlafen und ist erst morgens um Viertel vor Sieben aufgestanden. Inzwischen ist eine Impfassistentin ins Zimmer gekommen. Der Wortwechsel ist kurz und freundlich, der Arm soll locker baumeln, die Unterschriften unter den Dokumenten stimmen und auf die ausführliche Beratung verzichte ich ausdrücklich. Schon ist alles vorbei und ich darf mich noch einen Moment ausruhen. Abends gegen 17:30 Uhr zeigt sich dann, dass doch 15 Patienten nicht erschienen sind. Nun müssen geeignete Risikopatienten aus der Warteliste angerufen werden. Der ganze Ablauf verzögert sich, aber gegen 18:45 Uhr sind alle Impfdosen verarbeitet. Aus jeden Gläschen haben die Laborkräfte sieben Dosen gezogen und alle sind zum Einsatz gekommen. Zum Abschluss wird das KV-Portal aufgerufen. Knapp 300 Patienten sind geimpft, Impfstoff ist Biontec. Die Anzahl der über 60-Jährigen wird im Portal abgefragt, aber diese Angabe ist optional. Fertig.

Der Impfablauf, den ich hier gesehen und begleitet habe, kann noch weiter durchorganisiert werden. Und dazu muss ich die Software in der Arztpraxis für die nächste Woche anpassen. Auch könnte auf dem Parkplatz ein Zelt stehen als Ruhezone für die geimpften Patienten, mit einem Rettungssanitäter als Sicherheit und einem Kaffee zum Klön-Schnack. Der wesentliche und wichtige Schritt in der Ablauforganisation aber ist die Vorab-Bereitstellung der RKI-Dokumente in die Hand des Patienten. Das hat auch den Vorteil, dass diese doch recht umfangreichen Dokumente in Ruhe gelesen und bewertet werden können. Da kann noch mal bei Vertrauenspersonen befragt werden oder ein Aufklärungsvideo von Helga & Marianne* Vertrauen schaffen. Aber wenn von 300 Patienten 15 nicht zur Impfung erscheinen, ist auch das eine gute Nachricht, denn genau darum geht es in der Aufklärung, dass die Vorbereitungszeit zum Nachdenken genutzt wird.

Wer in der Vorbereitungsphase für die Impfung dann zu einem klaren Ja kommt, darf in der Arztpraxis einen guten und schnellen Ablauf erwarten. Dafür muss in der Arztpraxis ein Management für die Abläufe eingesetzt werden, alle Helferinnen und Helfer sollten die Prüfung für die Impfberechtigung absolviert haben und es bedarf einer Software mit einer Tagesliste, um eine Stunde vor dem Ende des Impfnachmittages, die Anzahl der nicht erschienenen Kandidaten ermitteln zu können und aus den Wartelisten dann die nächsten Kandidaten anrufen zu können. Mit einem solchen Management ist, so die Einschätzung der Praxis, auch die doppelte Anzahl von Impfungen an einem Nachmittag durchzuführen.

Betrachten wir die Impfkompetenz der hausärztlichen Arztpraxen als ein Potenzial für die weitere bundesweite Pandemie-Bekämpfung. Auch dazu eine einfache Überschlagsrechnung. Von insgesamt 50 000 Hausärzten dürften inzwischen 10 Prozent den Charakter eines Gesundheitszentrums angenommen haben. Gehen wir von 30 Impfungen am Tag in einer kleinen Arztpraxis aus und von 300 Impfungen täglich in einem Gesundheitszentrum (wie gesagt auch die doppelte Zahl ist möglich), dann erhalten wir die Zahl von 1.350.000 Impfungen in den kleinen Arztpraxen und wenigstens 1.500.000 für die Gesundheitszentren. In der Summe sind dann Impfzahlen von mehr als 2.850.000 täglich möglich. Wäre Impfstoff verfügbar, dann könnte die niedergelassen Ärzteschaft nach zehn Tagen 28 Millionen Patienten geimpft und nach 20 Tagen die Pandemie erledigt haben. Diese außerordentliche Leistungsfähigkeit der Ärzteschaft müsste für die politische Führung dieses Landes wie die Verheißung einer Heilsbotschaft wirken, aber nein, sie wirkt umgekehrt erschreckend, denn die Leistungsfähigkeit der Hausärzte könnte das Problem der politischen Verantwortung für das bisherige Management in der Corona-Krise wieder auf die Politik zurückführen.

Angesichts der enormen Impfkapazitäten der niedergelassenen Hausärzte stellt sich in der Tat die Frage nach der bisherigen Grundsätzen zur Abwehr der Pandemie. Zunächst hat die Beschaffung und Bereitstellung von Impfstoffen Vorrang. Die Pandemie kostet täglich Menschenleben und wenn dann verfügbarer Impfstoff nicht bereitgestellt wird, ist dies eine Form von unterlassener Hilfeleistung. Die juristische Aufbereitung solcher Abläufe mag erfolgen, wenn die Pandemie besiegt ist. Insofern ist die Initiative von Jens Spahn und Markus Söder zu begrüßen, weitere Impfstoffe für den deutschen Raum bereitzustellen.

Allerdings hat die Frage des Einsatzes von nur wenigen Impfstoffen oder nur einer Technologie einen sicherheitsrelevanten Aspekt. In der Abwehr eine pandemischen Bedrohung greifen Maßnahmen, die nicht den Charakter eines lokalen oder endemischen Experiments behalten, sondern die zu einem gesamthaften Geschehen führen, das uns sowohl als Betroffene wie auch als aktive Teilnehmer erscheinen lässt. Deshalb können die indirekten und langfristigen Auswirkungen des Geschehens nur unzureichend bewertet werden. Deshalb gibt es kein gesichertes Vorab-Wissen. Dieser Umstand hilft zwar, manche Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen der Politik zu erklären. Aber es gibt für den Umgang mit potenziell epidemischen Krisen bewährte Muster.

Der wesentliche Grundsatz in der Abwehr nicht oder nur schwer berechenbarer Bedrohungen besteht in dem Versuch, das Risiko eines großen Gesamtschadens zu vermeiden. Dieser Grundsatz gilt zum Beispiel im Schiffbau, indem das Schiff in Segmente aufgeteilt wird, damit beim Eindringen von Wasser oder dem Ausbruch von Feuer, die jeweilige Gefahr auf ein Schiffssegment begrenzt bleibt. Dieselbe Strategie im Umgang mit schwer kalkulierbaren Risiken finden wir aber auch im Bereich der Finanzanlagen oder auch militärischen Unternehmungen. Warum sollten bei der Abwehr einer Pandemie diese bewährten Regeln einer Risikominimierung nicht gelten? Nein, es ist genau umgekehrt. Der Grundsatz einer Strategie der Risikominimierung ist im Umgang mit der Corona-Pandemie das erste Gebot. Und es ist auch ein Gebot der politischen Klugheit und Weitsicht, möglichst unterschiedliche Impfstoffe mit unterschiedlichen Technologien zum Einsatz zu bringen.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der noch sehr schwer zu bewerten ist. In der Abwehr von Computer-Viren in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben wir erlebt, wie die Schaffung einer globalen Monokultur eines bestimmten Betriebssystems Schadsoftware auf den Plan gerufen hat. Dabei hat sich gezeigt, dass die Abwehr dieser Schadsoftware kein einmaliger Vorgang bleibt, weil im schlimmsten Fall die Art der Abwehr selbst neue monokulturartige Situationen schafft, die dann den nächsten Schädling heraufbeschwören, weil sich die Technologien der Schädlinge und des Schutzes diesen Schädlingen ähneln. Letztlich leitet auch die Corona-Pandemie einen Wettlauf der Systeme und Technologien ein. Wer in diesem Wettlauf ohne Not einseitig auf eine Karte setzt, handelt nicht im Sinne einer Gefahren- und Risikominimierung.

Bleibt die aktuell paradoxe Situation. Die Impfkapazitäten der niedergelassenen Ärzteschaft lassen ein Ende der Pandemie innerhalb von wenigen Wochen möglich erscheinen. An den Ärzten liegt es jedenfalls nicht, das zeigen die Impfzahlen der vergangenen Tage. Damit rollt der Ball wieder zurück zur Politik. Überwiegt dort die Angst vor der Pandemie oder haben wir es mit einer Pandemie der Angst zu tun, die sich vor einem raschen Ende der Epidemie fürchtet?

* Helga und Marianne sind zwei eher norddeutsche Gestalten von Freshtorge, die sich regelmäßig über die wichtigen Dinge dieser Welt - und der Pandemie - über ihren Gartenzaun hinweg austauschen. Ein bedeutender Beitrag behandelt die Frage: Impfen oder doch nicht? Sie finden das Video auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=C1NyxqSh6gM

 

WhatsApp stickert unter dem Motto "Impfstoff für a...
Faktor X bei den Impfdosen lautet "allerdings"

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