Sie macht’s hinter Bezahlschranke. Aber nicht heimlich, mehr so unheimlich, denn die Überschrift dürfen wir kostenlos lesen. „Warten auf die Twindemie“ titelt ZEIT online am 20.10.2022.
https://www.zeit.de/gesundheit/2022-10/corona-winter-grippewelle-impfung-rki?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Wer hat’s erfunden? Das Wort natürlich. Unklar. Schon der WDR winkte am 12.10.2022 mit der sprachlich hübschen Neuschöpfung.
https://www1.wdr.de/nachrichten/corona-und-grippe-kommt-die-twindemie-100.html

Noch früher, nämlich am 09.10.2022 wollte die FAZ Schluss machen. Mit der neuen Leichtigkeit. Die kleine Dachzeile über der Titelzeile erklärt’s schon: Virengefahr in der Twindemie.
https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/influenza-und-corona-wie-gross-wird-die-virengefahr-im-winter-18369938.html

Die FR bleibt sprachlich eher solide aufgestellt: Sie spricht von der drohenden Grippewelle und den möglichen Doppelinfektionen. An der Twindemie kommt aber auch sie nicht vorbei. Zu schön die Wortschöpfung, um sie ungenutzt vorbeiziehen zu lassen. (19.10.2022)
https://www.fr.de/wissen/grippewelle-grippe-corona-doppelinfektionen-deutschland-winter-schwer-fachleute-impfung-91850721.html

Die Frauenzeitschrift Brigitte stellt sich gleich auf Seite ihrer Klientel. Hier warten nämlich die Expert-Doppelpunk-innen auf die Twindemie. Und Brigitte will’s ganz genau wissen und schiebt gleich in der Überschrift die richtige Frage nach: „Was ist das eigentlich“.
https://www.brigitte.de/aktuell/gesellschaft/corona-im-herbst--expert-innen-warnen-vor-der-twindemie---was-ist-das-eigentlich--13404476.html

Die genaue Antwort der Brigitte spare ich mir und Ihnen. Weiter geht’s:

Richtig – die Süddeutsche Zeitung fehlt noch in der Sammlung. 20.10.2022, hinter Bezahlschranke, aber die Frage geht auch öffentlich an alle Umsonstleser: „Kommt in diesem Winter die Twindemie?“
https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wissen/grippe-covid-corona-winter-e249944/?reduced=true

Hier soll erst einmal Schluss sein. Ist ja auch nicht wirklich lustig. Ein Lob allerdings habe ich noch, für die Süddeutsche: Sie hat eine schöne Grafik erstellen lassen. Frau im Schlafanzug, Decke über, bequeme Sitzgelegenheit, Fieberthermometer, Zimmerpalme. Höckerchen mit Medikamenten – und ein ganz verdrießliches Gesicht dazu. Viel schöner als das Foto, was seit mindestens 2018 gefühlt gut ein Drittel aller Medien als Symbolfoto zu den Artikeln über die Erkältungskrankheiten, die Grippe und Corona dient. Sie werden sofort wissen, was ich meine. Frau, im Bett, gut zugedeckt, krank, rotkariertes Betttuch, Muster wie ein Küchenhandtuch. Blaukarierts Kopfkissen, Muster wie Küchenhandtuch. Große weiße Tasse auf dem Nachtisch. Fieberthermometer, Buch und Papiertaschentücher auch. Das Foto, der Fotograf sei gelobt, gibt es in verschiedenen Ausführungen mit verschiedenen Tiefenschärfen. Ich finde trotzdem: Der Fotograf hat seinen Job zwar gut gemacht, aber mit diesen Fotos (hoffentlich tatsächlich) genug verdient.

Und ich plädiere an dieser Stelle für eine gesamtmediale Suche nach einen neuen Erkältungsfoto.

Bin aber vom Wege abgekommen. Wir sind bei der Twindemie, die im Winter auf uns zukommt. Sie ist ja nicht die einzige Katastrophe, die die Medien für uns vorgesehen haben: Wir werden diesen Winter krank sein, frieren, die steigenden Kosten nicht mehr stemmen können.

Meine These: Weil die angedrohte Herbstcoronawelle nicht alle versprochenen Schrecken erfüllen konnte, Entsetzen und Aufschreie ausbleiben, sind die Medien zu unserer aller Seelenheil dazu berufen, das so entstandene Schreckensloch mit neuen Szenarien zu füllen. Und das machen sie ausgesprochen gut. Ich meine, dass mir für den Oktober auch in Köln Schnee versprochen war. Redlicherweise nicht von allen – und wohl eher nicht von den Meteorologen. 24 Grad haben wir hier letztens geschafft. Plus, nicht minus.

Die Auswege sind genauso vielfältig: Teelichtöfen, Stromsparen, Strickpullover. Warme Socken. Heißer Tee.

Meine Empfehlung: Stricken Sie sich ein Twinset. Zumindest wenn Sie weiblich sind, sieht das total schick aus. Pullover und Jäckchen in gleicher Farbe. Am besten auch noch in Pastell.

Ich habe keine Prognose. Ahnung habe ich auch nicht. Ich rechne aber nicht mehr mit Schnee im Oktober in Köln. Und ich rechne mit einer Pleitewelle im Mittelstand, mit Familien, die an der Armutsgrenze kämpfen. Die hoffentlich keine Zeit haben werden, die vielen Anleitungen zu lesen, wie man mit einem Teelichtofen die Wohnung wärmt. (Die werden übrigens gerade abgelöst von den Warnungen, dass diese Öfen nicht nur nichts taugen, sondern auch noch brandgefährlich sind. Ganz nebenbei: Wegen des vielen Aluminiums ums Teelicht herum auch klimaschädlich).

Eins ist ganz sicher: Der Winter kommt. Und mit ihm der Weihnachtsmann. Das weiß ich ganz genau. Es muss am 24. Dezember sein. Bis dahin wollen wir artig sein und hoffen. Dass die Bescherung für alle gleich ausfällt.