Erinnern Sie sich noch an das Jahr 2003? Hitzewelle oder Mißfelder? Was fällt Ihnen zuerst ein? Der Sommer war in Deutschland und Europa der wärmste seit 500 Jahren – und der JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder sprach in diesem Sommer den Menschen, die älter sind als 85 Jahre, das Recht auf ein künstliches Hüftgelenk ab.

Die Debatte darüber war so hitzig wie das Wetter. Und vor allem: Sie endete nur scheinbar. Oder nur in den Medien. Noch 2014 bemüht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel Philipp Mißfelder zu einem Mittler zwischen Jung und Alt zu stilisieren. Die Hüftgelenks-Debatte bezeichnete sie dabei als „unglücklichen Start“ dieser Beziehung.
https://www.abendzeitung-muenchen.de/politik/merkel-dankt-dem-scheidenden-ju-chef-missfelder-art-252548

Dass dieser „unglückliche Start“ sich mit diesen Worten nicht wieder vom Tisch wischen lässt, dürfte Merkel klargewesen sein. Und im September dieses Jahres ploppt die Hüftgelenk-Debatte wieder auf. Diesmal heißt der Agitator Thomas Lemke. Der Vorstandsvorsitzende der Sana-Gruppe geht noch einen Schritt weiter als damals Philipp Mißfelder – und senkt die Altersgrenze. Er fragt, ob es nötig sei, Menschen, die älter als 80 Jahre sind, Hüftgelenke zuzugestehen. Nachzulesen in der Rheinischen Post, 23.09.2025:
https://rp-online.de/leben/gesundheit/keine-neue-huefte-mehr-ab-80-sana-forderung-loest-empoerung-aus_aid-135407825

Jetzt ist der Weg nicht mehr weit zu Prof. Dr. Hendrik Streeck, ebenfalls CDU, der mit seiner Medikamentendebatte in denselben Zug eingestiegen ist. Und während in der Debatte 2003 viele Stimmen laut wurden, scheint die Vielfalt der Stimmen in der Streeck-Debatte abgenommen zu haben.

Wen haben wir denn bis jetzt gehört? Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich sofort geäußert. Und die Bundesregierung? Ja – die hat sich auch geäußert. Sogar sofort. Haben Sie nicht gemerkt? Ich auch nicht. Dabei habe ich tatsächlich lange gesucht. Aber die Sortierung der Suchmaschinen ist ein ganz anderes Thema.

Die Bild setzte am 14.11.2025 die Bundesgesundheitsministerin wunderbar fotografisch in Szene. Titel „Ministerin erteilt Streecks Arzneien-Vorstoß Absage“. Ja, das tut sie – und zwar merkwürdig sachlich. Zitat aus der Bild:

„Jetzt räumt Gesundheitsministerin Nina Warken (46, CDU) den Vorstoß ab. Sie sagt zu BILD: „Die Äußerungen reihen sich ein in eine Reihe von Vorschlägen aus dem parlamentarischen Raum zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Ministerium wird diese Zielrichtung nicht verfolgt.“ Heißt: Mit ihr als Ministerin wird es das nicht geben.“
https://www.bild.de/politik/inland/debatte-um-teure-medikamente-fuer-alte-patienten-warken-kontert-arzneien-vorstoss-6915f44b0558ca65b4d6581b

Der Tagesspiegel spitzte – ebenfalls am 14.11.2025 – zu:

„Die Bundesregierung erteilt ihrem eigenen Drogenbeauftragten einen Rüffel nach dessen Überlegungen, teure Medikamente nicht mehr an hochbetagte Patienten abzugeben. Ministerin Warken geht auf Distanz.“
https://www.tagesspiegel.de/politik/keine-teuren-medikamente-fur-hochbetagte-bundesregierung-lehnt-vorstoss-von-drogenbeauftragtem-streeck-ab-14842352.html

Die Bundesregierung hat also, in Gestalt von Nina Warken, sachlich und neutral Stellung bezogen, ohne sich auch nur irgendwie auf die Debatte einzulassen. Nicht auszuschließen, dass das der richtige Weg ist.

Stimmen aus der CDU, die sich zu den Äußerungen Streecks äußern, sind mir allerdings bislang nicht begegnet. Was heißt, dass die Partei sich zumindest nach außen hin auch nicht auf die Debatte einlässt. Das heißt, die Marschrichtung hat sich seit 2003 nicht geändert – der Kompass steht noch immer auf Mißfelder.

PS: Weitere Links zur laufenden Debatte weiterhin als Ticker hier:
Kommentar und Linkliste zur Streeck-Debatte -- Rheinische Post veröffentlicht Gastbeitrag von Streeck