Die Deutschen und die Rechtschreibung: Wir haben ja so unsere Lieblingsfehler. Den Apostroph vor dem Genitiv-s zum Beispiel. Den macht man nicht. Den machen nur die Briten. So habe ich es in der Schule gelernt. Aus alten Zeitungen kann ich Ihnen sagen: Von den Briten haben wir diesen Fehler nicht unbedingt. Mehr so von alters her. Der Fehler ist älter als der Duden – und vielleicht müssen wir anfangen zu überlegen, ob er überhaupt einer ist. Regulär, daran besteht kein Zweifel, ist er ein Fehler.
Der andere Lieblingsfehler: die Zusammen- oder Getrenntschreibung von zusammengesetzten Verben. Beim Schwarzfahren weiß noch jeder Bescheid: unbedingt zusammen. Denn die Schwärze ist ja keineswegs wörtlich zu nehmen. Es ist der übertragene Sinn. Ebenso das Krankschreiben. Auch das Wiedersehen gehört zusammen – und dieses Beispiel ist ganz wundervoll, denn beides geht: Ich habe Anna wieder gesehen bedeutet wörtlich, dass ich diese Person zum wiederholten Mal gesehen habe. Nichts weiter sonst. Habe ich Anna wiedergesehen, habe ich aber möglicherweise sogar mit ihr gesprochen.
Oder: Ich konnte mich nicht mehr festhalten, aber Anna hat mich dann fest gehalten. Mein Lieblingsfehlerfalle: weiterlesen. So muss ich das Verb schreiben, wenn ich auf einer Internetseite dem Leser das Angebot machen will, dass er per Klick den Artikel auf einer anderen Seite zu Ende lesen kann. Aber das Kind, das abends im Bett das Licht löschen soll, muss antworten: „Ich möchte aber noch weiter lesen!“
Wie es Herr Streeck mit der Rechtschreibung hat, können wir nicht wissen. Er hat ja nur gesagt, was andere schreiben. Und die schreiben seit Tagen und gehäuft, dass wir in Deutschland Patienten tot operieren. Nein! Allenfalls der Pathologe operiert seine Patienten, wenn sie tot sind. Die Ärzte aber, die sich den Lebenden widmen, können, wenn wir Streeck richtig verstehen, Patienten auch totoperieren. Was immer Streeck damit gemeint hat. Wir können uns damit behelfen, dass es der übertragene Sinn ist. Denn ganz ehrlich: Auch Sie glauben nicht, dass in Deutschland Patienten so lange operiert werden bis sie tot sind, oder?
Schon lange habe ich den Eindruck, dass der Schulunterricht damals, in der DDR, sehr viel gründlicher war, was Rechtschreibung und Sprache betrifft. Und nun habe ich heute endlich einen richtig guten Beweis gefunden: ein Artikel, in dem „totoperieren“ zusammengeschrieben ist. Hier – beim MDR – kommt orthografisch zusammen, was zusammengehört,18.11.2025:
„Alte Patientinnen und Patienten würden in Deutschland zu häufig behandelt, bisweilen "totoperiert", hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete, Drogenbeauftragte und Mediziner gesagt.“
https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/streeck-debatte-medizin-ueberbehandlung-alter-102.html
Für die Seite „Rentenbescheid24“ hat auf jeden Fall ein Redakteur zu Recht gemerkt, dass Streecks Patienten keinesfalls tot operiert werden sollten. Seine Lösung ist orthografisch unkonventionell und beherbergt gleich zwei Fehler in einem Wort. Aber: Der Wille zählt:
„Tot-Operiert? Überversorgung im Alter: Teure Medizin oder echte Fürsorge“
https://rentenbescheid24.de/tot-operiert-ueberversorgung-im-alter-teure-medizin-oder-echte-fuersorge/
Aber Sie müssen sich diese Wortkombination am besten gar nicht erst merken. Auch Google kennt sie noch nicht – und liefert mir stattdessen die Notoperation als Ergebnis. Als Verb zusammen und klein: notoperieren.
Und was sagt ChatGPT: Die KI ist in diesem Fall so rührig wie hilflos. Sie kann totoperieren nicht im Duden finden. Nur notoperieren.
Ja, das ist richtig.