Von Mechthild Eissing auf Freitag, 18. September 2020
Kategorie: Gesundheitswesen

Ermittlungen gegen Arzt - und die Berichterstattung im Kölner Stadt-Anzeiger

Ein Arzt an der Kölner Uniklinik soll unnötige Operationen veranlasst und durchgeführt haben. Die Polizei ermittelt, Tim Stinauer berichtet im Kölner Stadt-Anzeiger. Die Fakten, die er zusammenträgt, lassen allerdings auch nachdenklich werden über die Art der Berichterstattung: Die Strafanzeige ist anonym, die Polizei ermittle seit Wochen wegen fahrlässiger Körperverletzung, die Staatsanwaltschaft äußere sich gar nicht. Der Arzt wird im Artikel Johannes V. genannt. Wie anonym eine solche Umbenennung tatsächlich bleiben kann, weiß jeder, der die Welt als Dorf schon kennengelernt hat. Es gelte die Unschuldsvermutung, schreibt Stinauer – und rollt auf der ersten Lokalseite die Vorwürfe gegen Johannes V. umfangreich aus. Unter den als Aufmacher aufgezogenen Artikel passt nur noch eine Anzeige,  daneben eine Meldungsspalte. Der Stoff reicht mindestens für einen Krimi, es geht um Karriere, Geld für die Uniklinik, Konflikte unter Kollegen und das Verhältnis zum Chef – und um einen Arzt, der sich offenbar der internen Diskussion entzieht und anders ist als die anderen.

Ob die Berichterstattung nun noch journalistisch oder schon kriminalistisch ist, muss wohl jeder Leser selbst bewerten. Richtig ist: Wenn alles stimmt, was Stinauer schreibt, ist es schlimm. Richtig ist auch: Bewiesen ist nichts. Und wenn die Unschuldsvermutung tatsächlich gilt, ist die Frage, ob der Sachverhalt nicht auch mit einer kurzen Meldung abgehandelt hätte werden können. Ein seltsames Gefühl bleibt beim Lesen, wenn man weiß, dass Stinauer der Polizei-Berichterstatter des Kölner Stadt-Anzeiger ist – und wenn man sieht, dass er zu einem Zeitpunkt berichtet, an dem die Polizei offenbar nicht mehr weiterkommt.  

Es gibt noch immer einen Pressecodex in Deutschland – ich habe ihn nachgelesen. Richtig ist, dass Tim Stinauer sich an alle Regeln des Codex hält. Also müssen wir möglicherweise die Unschuldsvermutung auch für ihn gelten lassen.

Zum Lesen braucht man ein Abo – oder die Papierausgabe vom 18.09.2020:
https://www.ksta.de/koeln/unnoetige-operationen--schwere-vorwuerfe-gegen-arzt-der-koelner-uniklinik-37360562

Verwandte Beiträge

Kommentare hinterlassen