Von Mechthild Eissing auf Montag, 29. Juli 2019
Kategorie: Gesundheitswesen

Und ewig lockt das ewige Leben

Der Jungbrunnen ist offenbar wieder mal gefunden. Nun liegt er im Silicon Valley. Dort soll es Forschern gelungen sein, neun Männer zu verjüngen, berichtet die Zeit. Kein Bad, keine Quelle, kein Mysterium. Die Fantasien der Gegenwart sind da wenig malerisch, sondern ausnahmslos medikamentös. Das Verfahren der Forscher aus dem Silicon Valley soll die Thymusdrüse der Männer regeneriert haben. Die Zeit berichtet essayistisch und packt die Hoffnung auf ein Leben ohne Tod journalistisch von vielen Seiten an (21.7.2019), es finden sich dort auch mehrere Links auf ähnliche Artikel zum Thema:
https://www.zeit.de/kultur/2019-07/verjuengung-silicon-valley-forscher-life-extension-tod-unsterblichkeit?utm_source=pocket-newtab

Neun Männer: Also nichts mehr mit "ladies first“, „Frauen und Kinder zuerst“. Auch wenn es nicht das Schiff ist, was sinkt, auch wenn der Weltuntergang immer noch nicht vor der Tür steht, auch wenn keine zweite Sintflut droht – wenn es um das ewige Leben geht, sind Höflichkeits- und Anstandsregeln gebrochen. Neun Männer. Die können sich jetzt nur noch damit herausreden, dass sie das Versuchskaninchen gegeben haben. Dass sie unbekannte Gefahren auf sich genommen haben, um für uns alle neue, zukünftige Welten (fernab des Todes) zu erorbern.

Keine Gleichberechtigung und schon gar keine Genderneutralität. Neun Männer. Vom dritten Geschlecht (oder gibt es bereits noch mehr?) reden wir ja nicht einmal.

Bei Lucas Cranach dem Älteren galten noch ganz andere Gesetze. Dort sind es nur die Frauen, die dem Jungbrunnen entsteigen. Sein Gemälde ist von 1546 und entspricht – verkürzt gesagt – Vorstellungen, die schon die Antike auch aus dem Orient bezogen hat. Verjüngung ist ein Menschheitstraum. Immer schon gewesen. Im Märchen ist sogar das Schlaraffenland mit einem solchen Jungbrunnen ausgestattet.

Religiös betrachtet heißt das Schlaraffenland wohl eher Paradies. Der Ort, aus dem wir einstens, vor sehr langer Zeit, vertrieben wurden – und zu dem wir wieder hinstreben. Christen wie Muslime. Wobei der Koran den Gläubigen offenbar konkretere Versprechen macht.

Nun haben wir aber mit dem Glauben zugleich auch jede Hoffnung auf Himmelreich und Paradies verloren. Es ist also schlimmer als jemals zuvor. Und das Schlaraffenland hat gewiss noch niemand ernst genommen – es muss sich da zweifelsohne um abgründigen Spott handeln: Wer will denn schon, dass immer und immer wieder gebratene Tauben ins eigene Maul fliegen? Die eine oder andere Taube könnte ja noch ganz genehm sein, doch die darstellende Kunst zeugt davon, dass alle Schlaraffen dickwanstig, träge und irgendwie gequält, kaum aber verjüngt, am Boden liegen und sich nicht regen mögen.

Keine Tauben, kein Jungbrunnen – und das Leben eines Schlaraffen (von sluraffe, schlauraffe) will eigentlich auch niemand führen. Auch nicht im Paradies. Es ist das Leben eines Faulenzers oder Schluderers. Ein Nichtsnutz, ein Taugenichts, ein Tunicht. Nicht mal ein Tunichtgut, sondern nur ein Tunicht. Nein, diese Form von Verjüngung, die jeglichen Sport nicht im entferntesten einbezieht, kann ja überhaupt nicht mehr den Glücksvorstellungen der Gegenwart entsprechen. Deswegen heißt das Schlüsselwort auch längst nicht mehr Schlaraffenland. Es heißt "life extension". Und wer mit diesem Schlüssel das Tor zu Google aufschließt, der landet da, wo dieser Artikel begonnen hat: Der Jungbrunnen hat aufgehört zu plätschern, zu quellen oder zu fließen. Er ist medikamentös. Er wird verabreicht, eingenommen, aufgenommen. Wahre Schönheit kommt von innen, wahre Jugend jetzt auch. 

Zurück zum Silicon Valley. Kritiker finden sich selbstverständlich überall, nicht nur dort, und die "Zeit" zählt alle Argumente aller Gegner hübsch geordnet auf. Hier eines, das an Profanität und Kleingeistigkeit wirklich gar nichts zu wünschen übrig lässt. Es ist das Argument der Buchhalter, Volkswirtschaftler und Kichererbsenzähler: Die Erde ist zu klein fürs ewige Leben. Überbevölkerung, Mangelernährung – es wird ja jetzt schon eng. Und in Wirklichkeit reden wir doch gar nicht übers Brot allein, nein, es geht ums Benzin. Aber das bleibt meist ungesagt. Wenn wir alle ohne Ende leben, müssen wir am Ende wieder alle zu Fuß laufen. Immer - nicht nur beim Sport. Nein, das kann’s ganz gewiss nicht sein. Die Spontis wussten’s schon in den 70ern: Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß.

Also waren die Altvorderen doch wesentlich klüger, indem sie sich und uns das paradiesische Leben nach dem Tode in den schönsten Farben ausmalten. Doch ja, leider, die Voraussetzung für alles Paradiesische ist der Glaube. Und eine Gewähr gibt’s nicht. Braucht’s vielleicht auch gar nicht, wenn man sich nur einmal wirklich mit der Unsterblichkeit auseinandersetzt.

Evelyn Finger hat’s getan – auch in der Zeit – schon am 23. März 2016. Sie kommt, nicht nur aus christlicher Perspektive, zu dem Schluss: Unsterblichkeit taugt nichts.

https://www.zeit.de/2016/14/unsterblichkeit-ewiges-leben

Von Lucas Cranach der Ältere - Unbekannt, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30264218

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