Von Mechthild Eissing auf Dienstag, 17. September 2019
Kategorie: Gesundheitswesen

My home - not castle but office: Das heimische Büro macht offenbar krank

Sagen Sie niemals jemandem, der mit der englischen Sprache groß geworden ist, dass Sie im Home Office arbeiten. Im Zweifelsfall nimmt ihr Gegenüber nämlich an, Sie arbeiten im Innenministerium und/oder drücken sich nur schlecht aus. Die ganze Wahrheit lautet: Sie arbeiten von zuhause aus. Working from home – auf Englisch. Mit dieser Formulierung kommen wir der ganzen Wahrheit auch schon beträchtlich näher.

Sie lautet nämlich tatsächlich: Von zuhause. Es ist eben kein Büro, es ist Ihre Wohnung oder Ihr Haus. Und dort quengeln wahrscheinlich die Kinder, die krank zuhause geblieben sind, dort muss der Tisch vom Frühstück noch abgeputzt werden, wenn die Arbeit längst angefangen hat, die Waschmaschine piepst leise vor sich hin, weil sie ausgeleert werden will – und wenn’s ganz übel kommt, rufen Schwiegermutter und Mutter gleichzeitig an. „Nein, Mutter, ich kann jetzt nicht. Ich bin gerade im Home Office.“ Das sagen Sie natürlich nicht. Sie gehen gar nicht erst ran. Weil Sie im Home Office sind, lassen Sie Mütter jeglicher Couleur einfach klingeln. Und merken sich, dass Sie abends zurückrufen sollten. Oder sie sagen’s Ihrer besseren Hälfte: Schatz, ruf doch mal bei deiner Mutter an. Denn: Sie haben’s ja gemerkt und Sie werden es sich merken.

Die ganze (un)heimliche Wahrheit ist nämlich: Bei sich zuhause sind Sie der Ministerialbeamte oder die Beamtin, der/die für alle Katastrophen zuständig ist. Auch wenn Sie gerade nur im Home Office arbeiten wollten.

Das deutsche Wort für die Arbeit am heimischen Schreibtisch kennt hingegen wahrscheinlich gar keiner mehr. Man findet es aber noch bei Wikipedia: Teleheimarbeit. Dieses Wort geht aber nun gar nicht, denn es verrät nur, dass das Heimchen am Herd den Arbeitsplatz gewechselt hat und von der Küche ins Wohnzimmer, günstigenfalls ins Studier- oder Arbeitszimmer geschickt wurde. Oder, und das ist wahrscheinlich noch schlimmer, man denkt an die Heimarbeit, die irgendwie in der Nähe von Teppichknüpfen oder Fertigteilezusammensetzen gedacht ist. Also an Lohnarbeit und Ausbeutung. Und es verrät, dass der Sprecher den Zug in die Gegenwart absolut verpasst hat. Teleheimarbeit! Genau. Mit dem Wort kann man sich nur blamieren.

Da war es jahrzehntelang schicker, das Heim sprachlich überhaupt nicht zu erwähnen. Zu heimelig halt. Oder zu erniedrigend. Je nachdem, von welcher Wahrheit aus man das Wort betrachtet. (Dass das Wort home mit Sicherheit dieselbe sprachliche Wurzel hat, ist offenbar sekundär.)

Das Home Office hingegen hat nicht nur den Lohn des Heimarbeiters gegen das Gehalt des Angestellten oder den Verdienst des Selbstständigen getauscht. Es spielt auch mit seinem Traum von Freiheit: Der Mensch im Home Office ist frei. Zumindest so frei, dass er sich seine Zeit einteilen kann. Er läuft nicht dem Chef über den Weg, der gegebenenfalls morgens muffelt. Er kann seinen Milchkaffee am Schreibtisch so verkleckern, wie es ihm lieb ist. Und er läuft allenfalls seinen Familien- oder WG-Mitgliedern über den Weg, die morgens aber noch viel unverhohlener muffeln dürfen. Aber nicht nur das – und das Folgende weiß jeder Heimarbeiter mittlerweile längst selbst aus alltäglicher Erfahrung: Freiheit ist sehr relativ – und am Ende doch immer die Freiheit, die Waschmaschine und den Staubsauger zum selbstgewählten Zeitpunkt zu starten.

Dass das Home Office also herzlich wenig ministerial und genauso wenig heimelig ist, hat nun auch eine Studie der AOK ergeben. Deren Fazit: Das Home Office ist ungesund, es zehrt und zerrt an den Nerven, macht seine ministerialen Heimelig-Arbeiter kirre, nervös und reizbar. Die Konzentration sinkt, die Zahl der Fehltage steigt.

Hier die Nachricht zur Studie der AOK bei t-online (17.9.2019). Sie läuft aber bei fast allen großen Medien:
https://www.t-online.de/region/stuttgart/news/id_86463488/krankenkasse-digitalisiertes-arbeiten-schadet-gesundheit.html

Bei der Süddeutschen Zeitung (17.9.2019):
https://www.sueddeutsche.de/karriere/homeoffice-job-gesundheit-psyche-1.4603837

Die Wirtschaftswoche nimmt das Thema auch unter dem Aspekt „Fehlzeiten“ in den Blick – und will mit Tipps und Tricks weiterhelfen. Angestellten und Arbeitern.
https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/fehlzeiten-report-2019-vorsicht-homeoffice/25021768.html

 PS: Dieser Artikel entstand in meinem Home Office - und ich wechsle jetzt heimlich an den Herd.

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