Nachrichtlich vollkommen frei gibt's hier nun mal wieder einen Text von der Sorte, die mit dem Unsinn verwandt ist, ohne vollkommen sinnlos zu sein. Ich hoffe, er macht Ihnen Spaß:

Kennen Sie den Suppenmüller? Nein, den kennen Sie ganz bestimmt nicht. Ich kannte den Suppenmüller nämlich auch nicht, aber er flog mir beim Zeitunglesen eben geradezu ins Auge. Die Anzeige von Edeka bot mir einen Blumenkohl vom Suppenmüller an für 1,29 Euro. Guter Preis, aber: Wer zum Teufel ist Suppenmüller – und warum verkauft der Blumenkohl? Gut, ich könnte den Kohl in die Suppe tun, stutze aber weiter. Und zwar erfolgreich: Alle Artikel, die Edeka in der Anzeige nicht nur mir anbietet, sind vom Suppenmüller.

Nein! Wenn ich beide Augen inmitten der Brillengläser ganz fest zusammenkneife, muss ich feststellen: Alles nur Superknüller. Kein Suppenmüller und erst recht kein Suppenkaspar. Nur der Blumenkohl wäre für des Kaspars Suppe super geeignet. Also alles unspektakulär.

Bleibt nur ein Rückschluss: Ich werde älter. So ist das manchmal. Anderen Menschen passiert das auch. Alles halb so schlimm. Hier wird nicht gejammert.

Die Erkenntnis, dass die Sehfähigkeit zweifelhaft ist, ist außerdem mir persönlich gar nicht neu. Vor allem mit dem zweiten Auge sehe ich, und das seit meiner Geburt, schlechter. Nur nimmt der Grad der Veränderung gerade zu. Das bedeutet zugleich ungeahnte Möglichkeiten: Neben den Suppenmüllern sehe ich nämlich längst – aber nur im Augenwinkel des zweiten Auges – fliegende Radfahrer, reitende Horden, Schatten und Unholde, meist in Schwarz, dafür aber in allen möglichen Größen. Auch schon einen schwarzen Fuchs. Gewiss: Alles eine Frage der Fantasie. Wer links an mir vorbeifliegt, vorbeischwebt, vorbeihuscht oder sich sonstwie vorbeibewegt, hat, sofern mein Hauptaugenmerk nicht unmittelbar auf ihm liegt, gute Chancen als Fabelwesen völlig verkannt zu werden.

Und wo wir eben schon das Thema Altern gestreift haben: Die Finger werden krumm, auf der Stirn wächst mir ein Horn, die Haare sind grau – und jetzt nach fast anderthalb coronaren Jahren auch verdammt lang. Ich sehe, zumindest morgens, aus wie eine Hexe, sehe Gespenster und kann in stillen Stunden Kontakt aufnehmen, mit wem auch immer ich will. Das allerdings liegt weniger am Alter, auch nicht an meinen hexagonalen Zuständen, sondern an der coronaren Zunahme der Stille. Eigentlich etwas, das ich zutiefst ersehnt hatte. Aber zu viel Stille fördert die Fantasie ebenso wie ein zweites Auge, mit dem man doch nicht besser sehen kann. Vielleicht sollte ich lieber mit mir selber reden, statt den Stimmen meines Inneren und den Bildern meines zweiten Auges zu folgen. Vom zweiten Gesicht reden wir hier besser gar nicht erst. Mit dem ließe sich der ganze Unfug inhaltlich und sprachlich noch erheblich steigern, bis hinein in Gefilde, die mir nicht mehr ganz geheuer sind.

Oder aber – und damit komme ich jetzt endlich auf den Punkt: Ich wechsle den Beruf, anders betrachtet nur die journalistische Sparte, und werde Spökenkieker (für Süddeutsche: Übersetzt hieße das in etwa Geisterseher. Aber ein Spökenkieker ist meist harmloser und lebt eher von und mit den Geschichten der Geister, die er gar nicht gesehen hat oder nur zur sehen meinte).

Auf jeden Fall wird der Spökenkieker nach mehr als einem Jahr ohne Theater, Konzert, Fitness-Studio, Museum, Stammtisch oder welchen sozialen Gruppenereignissen auch immer, mehr als gebraucht. Auch wenn draußen das Leben wieder seinen Lauf nehmen will: Die vierte Welle kommt bestimmt. Spahn hat’s gesagt. Oder habe ich auch das nur mit dem Zweiten gesehen?

Das wird mein großer Auftritt: Abends, am heimischen Wohnzimmertisch, wenn die Kerze flackert, man mit dem Zweiten schon wieder nichts besser sieht, dann packe ich sie alle aus. Die, die ich mit meinem zweiten Auge gesehen habe: Die Elfen, die Wölfe, die Eulen, die Ratten fraßen, die Ratten, die Eulen bissen. Sie wissen schon: Die ganze Welt der Zeichen des Jenseits – sie ist lebendig vor und in mir. Und das alles nur, weil ich mit dem Zweiten schlechter sehe. Da kann man also mal sehen: Aberglaube ist eine Folge mangelnder Um- und Weitsicht, nicht eine Folge der Unsichtbarkeit.

Und der Suppenmüller? Den soll der Teufel holen. Es gibt ihn nicht.

Oder soll ich den Suppenmüller nicht doch künftig als Buch verlegen? Er hat ja Potenzial. Da könnte ich dann auch meinen fliegenden Holländer verschriftlichen. Ich meine den Radfahrer, den ich aus dem Augenwinkel meines zweiten Auges kürzlich als Schatten durch die Luft radeln sah.