Manchmal habe ich den Verdacht, wir alle wollen unseren Kaiser wiederhaben. Das mag keiner laut sagen, und wenn uns diese stille Sehnsucht erfüllt würde, würden wir sofort laut schreien, wenn der Kaiser dann unsere Probleme gar nicht lösen kann. Nun hat der Kaiser schon historisch gesehen vollkommen abgedankt, sein Nachfolger heißt Vater Staat. Der aber muss es doch richten können, oder? Die Sehnsucht nach der harten Hand, die durchgreift, wo’s nottut, kommt tatsächlich immer öfter zur Sprache. Seltsamerweise erst recht, je mehr die Bundeskanzlerin sichtbar die Probleme gar nicht lösen kann. Über das Psycho-Dilemma dieser Ausgangslage mögen Wissenschaftler späterer Jahrzehnte rätseln. Hier erst einmal ein paar gesammelte Sehnsüchte:

Das ZDF hatte gestern Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Gast. Es ging um die Frage, wann der Bund eingreifen muss, weil sich die Ministerpräsidenten sich nicht einigen könnten. Das Gespräch kreist um den selben Punkt. Die kurze Antwort: Es könnte auch ganz schnell gehen. Wenn die Länder selber um Hilfe bitten, ....
Interview in Bild, Ton und schriftlichem Text hier:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-schaeuble-bundesgesetz-ministerpraesidentenkonferenz-100.html

Die „Welt“ hingegen sucht die Rettung ganz woanders. Nicht Vater Staat soll es richten. Nein er kann es sogar gar nicht. Chefkommentator Jacques Schuster spricht da deutlich und laut: Lasst die Ärzte und Apotheker impfen, nur so kommen wir weiter. Und jetzt im Zitat: „In Deutschland ist der Irrglaube nicht totzukriegen, nur Vater Staat kann es richten.“ Sein Kommentar ist unbedingt lesenswert, Schuster kämpft an vorderster Front gegen alle zentralstaatlichen Bemühungen. Wenn der Text nicht schon gestern, am 08.04.2021 online gewesen wäre, würde ich ja glatt behaupten, er ist die unmittelbare Reaktion auf obiges Schäuble-Interview. Auf jeden Fall aber ist er eine passende Antwort:
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article229998109/Corona-Impfungen-Gebt-den-Impfstoff-an-Aerzte-und-Apotheker.html

Franka Welz kommentiert in der Tagesschau aus der genau gegenüberliegenden Ecke: „Tut es doch endlich und gebt dem Bund mehr Kompetenzen“, schreibt sie am 09.04.2021 und will damit die Ministerpräsidenten abstrafen, die das Infektionsschutzgesetz weiträumiger auslegen als andere. Ihr Kommentar ist denn auch eher genervt als konstruktiv, spricht aber aus tiefster Seele. Ob das nun weiterhilft, weiß ich auch nicht. Der Seele, auch unserer, allerdings gewiss.
https://www.tagesschau.de/kommentar/corona-bundeskompetenz-101.html
(Wem weder der Zonk noch Tor 2 ein Begriff ist: Googlen Sie nach dem Ziegenproblem, dann verstehen Sie Frau Welz ein wenig besser, auch wenn Sie so immer noch nicht wissen, wer oder was der Zonk ist. Wer den Zonk hingegen wieder hören möchte, kann das hier tun. Er eignet sich als Misston auch für handysche Gelegenheiten hervorragend):
https://www.youtube.com/watch?v=ER9bo0UR440)

Ebenso entschieden, aber in bester föderaler Absicht kommentiert die FAZ am 08.04.2021. Wobei sich Kommentator Thomas Holl hier sprachlich selbst die schwerste Aufgabe vorgenommen hat: Dass der gemeinsame Weg der 16 Bundesländer an den verschiedenen Interessenlagen immer wieder scheitern muss, weiß er genausogut wie die Kanzlerin. Deswegen landet auch er am Ende beim Bund: Die Länder müssen halt erkennen, dass sie Kompetenzen abgeben müssen.
https://www.faz.net/aktuell/politik/kommentar-zur-corona-strategie-nicht-mit-dem-kopf-durch-die-wand-17283995.html